Freitag, 28. November 2008

Wellness gegens In die Luft fliegen









Daniela, meine Schweizer Nachbarin, hat es auf den Punkt gebracht: Für eine Reise sind die anderen Reisenden die Familie. Mit ihnen tauscht man sich aus, man hilft sich mit Tipps und Medikamenten weiter, man verarbeitet gemeinsam Erlebnisse. Das sind meist kurze, aber intensive Begegnungen. Die Bomben in Mumbai beschäftigen uns natürlich alle, manche gehen offensiv damit um und reden darüber, andere scheinen es eher zu verdrängen. Manche haben auch die indische Betrachtungsweise angenommen: es kommt, wie es kommt, man kann eh nichts machen. Die meisten schwanken zwischen Sorge und Gelassenheit, zwischen Relativieren der Zahlen (Menschen in Bombay und Tote) und Bedrückung wegen des Ausnahmezustands. Auch sind wir nicht sicher, ob es eine so gute Idee des Präsidenten ist, sich über Bangladesh und Pakistan und feindliche Grenzen in diesem Zusammenhang auszulassen.

Ich war vernünftig und habe meine Halsbrecherverbindung gestern umgebucht und dabei sogar 150 Euro gespart. Mein Flug wäre am 14.12. von Mumbai nach Bangkok gegangen, dort 10 Stunden Aufenthalt, weiter nach Sidney und dann Auckland. Nun fliege ich am 8. von Delhi über Kuala Lumpur. So spare ich mir 27 Stunden Zugfahrt, den dortigen Bahnhof und Flughafen und natürlich auch Bangkok, wo vollständig unklar ist, wie die Dinge weitergehen.

Ansonsten hilft nicht viel ausser sich weiter zu informieren und aufzupassen. Es ist interessant, wie auch eine so bedrohliche Situation zur Normalität für uns hier wird. Man kann nur versuchen, einen klaren Kopf zu behalten. Und so haben wir auch weiter Freude an unserer Zeit hier. Ich habe heute einen kleinen Wohlfühltag eingelegt mit einer fast schon zur Routine gewordenen Yogastunde in der Früh, einer halben Stunde im Pool, den mir ein Holländer im Internetcafe empfohlen hat und der für 80 cent frei zugänglich ist und vor allem einer Massage. Für eine Massage braucht es wiederum ein gewisses Vertrauen in den Masseur, da schien mir mein fröhlicher und freundlicher Yogalehrer sehr geeignet. Zudem hat er seine Physiotherapie, Yoga und ayurvedische Medizin an der Uni studiert und wirkt rundum professionell. So richtig beurteilen kann ich das natürlich nicht mit meinen westlichen Äugelein, die ich jeden Tag mit Spucke reinigen soll. Er hat sich eine Stunde ziemlich verausgabt, an Zehen und Haaren gezogen, mich ordentlich eingeölt und mir damit Freude gemacht, dass er meinte: „You have a good body, not only a beautiful body!“, da ich nicht über irgendwelche Schmerzen klagte und ihm gut trainiert und gesund erschien. So richtig von oben bis unten durchgeknetet zu werden ist ein herrlicher und hier mit zehn Euro erschwinglicher Luxus, den ich mir nur zu gerne gegönnt habe.

Neben der Massage hat er mir Einsicht in seine Lebensauffassung gegeben, die angenehm entspannt ist. Er meint, er glaubt an die Liebe und an nicht viel sonst. Priester und Geschäftsleute seien vom selben Schlag und vor allem hinter Geld her. Es sei wichtig, Mensch, Tier und Natur in ihrer Art bestehen zu lassen. Ich glaube, es geht ihm um Authentizität, um bewusstes Erleben der Gegenwart und um eine gewisse Gelassenheit dem Leben und vor allem dem eigenen Ego gegenüber. Ihm ist das Praktische wichtig, dass man seinen Körper spürt und auf dem Boden bleibt. Ich glaube, verrückte Yogaspinner sind ihm auch suspekt. Ein netter Mensch, von einem ganz Hintergrund, mit einer ganz anderen Kultur, haben wir doch zu einem gewissen Verständnis gefunden.

Ich lerne allerhand Nahrung und Medizin kennen. Tulsi gegen die Erkältung, die ich mir eingefangen habe, Spirulina (Algen) gegen den drohenden Eisen- und Vitaminmangel und Neem gegen Pickel. Was nun wirklich hilft, soll sich zeigen.

Chris ist heute abgefahren, wir haben noch den grossen Krishnatempelhügel erklommen, den Sonnenunterganng genossen und ich habe versucht, ihm zu erklären, was ich unter Philosophie verstehe. Er war ein wenig wie ein alter Freund für mich, seltsamerweise und die Zeit zusammen war locker und interessant. Er steht dem Leben gelassen gegenüber, ist wenig an Geld interessiert und wurschtelt sich wohl auch recht erfolgreich und offen durch. Wir hatten uns pausenlos etwas zu erzählen. Ich verstehe gar nicht, warum andere Leute sagen, das Alleinereisen sei vor allem deshalb langweilig, weil die meisten Gespräche nur um die Fragen gingen, wo man herkommt und wo man hin will. Ich habe mit dem Spanier Daniel über seinen Reisejournalismus gesprochen, mit den Schweizern über Gelassenheit und Freude beim Reisen, mit Marie über Zukunftssorgen und die Dinge, die man auch hier einfach anpacken kann, mit Chris über Kunst und Spiritualität, mit Albert über das Singledasein und mit Kavita über unser halbes Leben. Sie habe ich noch davon abgehalten, bis nach Mumbai zu fahren, ihr Ticket ging gerade am 26. dorthin und ich machte mir ernste Sorgen.

Mit Marie habe ich angefangen, ein Restaurant zu bemalen. Ich habe ein Plakat fabriziert, das andere Touristen zum Mitmalen einladen soll und vielleicht wird der Raum in Bälde ein wenig schöner und bunter aussehen. Sie macht lieber drauflos, ich bin mehr für einen Plan, der Besitzer steht allem vollkommen gleichgültig gegenüber. Dementsprechend ist auch seine Karte ein Potpourri. Seltsam, was hier alles zu funktionieren scheint. Viele Restaurants scheinen kein Konzept zu haben, keine Spezialitäten und einiges grässliches westliches Essen. Ich glaube, mit einem kleinen, aber feinen Restaurant, mit ein wenig Stil eingerichtet und wenigen, aber ausgezeichneten und erschwinglichen, aber nicht billigen Gerichten könnte man hier ein Vermögen machen, wenn man schon mit einem solchen Chaos, wie man es hier überall findet, Geld verdienen kann. So waren wir heute im so genannten Hardrock Cafe, in dem man „sendwitches“ lieber nicht geniessen sollte (lange Zeiten zwischen Bett und Klo sind die von Andreas schmerzlich erfahrene Folge) und in dem man Weichspülindipop hört. Hm.

Das für mich erst zu sehr von Spinnern bevölkerte Pushkar ist mir vertraut geworden. Ich mag die Geschichten: von meinem Hotelbesitzer Bapu, der dem offensichtlich sehr wiefen Jungen Tikam einen Job gegeben hat, damit er neben der Schule Geld für seine schwerkranke Mutter verdienen kann. Und wenn man ein klein wenig in die Richtung läuft, in die die Verrückten nicht gehen, entdeckt man sofort ganz andere Reisende wie David, der hier 16 Monate in einem Haus lebte und doch nie Ruhe hatte, weil dort selbst während er schlief munterer Durchgang herrschte. Privatsphäre gibt es hier genauso wenig wie nächtliche Ruhe und anständige Schokolade.

Den Sonnenuntergang wollte ich in der Wüste anschauen und lief dorthin, verfolgt von einer Kinderschar. Die Buben fragen meist nach meinem Ehemann und versuchen mich dann zu überzeugen, sie zu heiraten und doch zumindest in ihr Haus zu kommen oder ihnen wenigstens ein paar Euromünzen zu schenken. Den Mädchen soll ich Kekse kaufen, manche finden es auch ganz lustig, wenn ich sie durch die Luft wirble. Und alle flippen schier aus, wenn ich sie fotografiere. Auch einem Baby sollte ich Kekse kaufen, meinte seine Mutter Indira. Ich liess mich zu einer Packung Babynahrung breitschlagen und hoffe, das Kind wird auch wirklich damit gefüttert und nicht mit Keksen. Ihr seht sie beide auf dem Photo auf dem Boden sitzend. Es gilt ständig zu entscheiden, wem man die Bedürftigkeit abnehmen mag, wem man ein wenig Geld oder Zuwendung schenken mag und womit man die Lage wirklich ein bisschen besser macht. Insgesamt habe ich das Gefühl, mich nun ganz zufriedenstellend durch all das zu navigieren. Ich gebe nicht viel Geld aus und was ich ausgebe, ist in Ordnung. Einige Lektionen in Gelassenheit, Zuversicht und Umgang mit Menschen hat mich dieses Land gelehrt und mich auf ein paar Proben gestellt. Mal sehen, wie ich die weiteren zehn Tage meistere.

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