Mittwoch, 5. November 2008

Alle Freud und ein bisschen Traurigkeit









Tja und schon passiert es: ich bin traurig. Das ist es, was ich vom Reisen kenne – viel Freude und auch immer wieder Traurigkeit, weil man sich von den Leuten, die man bald sehr lieb gewonnen hat, trennen muss. Als Richard, der älteste von den Quakern und dazu mein väterlicher Liebling heute auf mich zukam und mir sagte: „Give me a hug, cos I am going to bed and we will not meet at five tomorrow morning“, war mir zum Heulen zumute. Wir haben einander ganz gut kennen gelernt, er hat mir seine Familie gezeigt und mir erzählt, dass er ein Kontrollfreak ist. Ein bisschen geweint haben wir heute schon vormittags, als wir gebannt vorm Fernseher saßen und sahen, dass Obama die Wahl gewonnen hat. Sie waren alle so erleichtert und glücklich, das hat mich mitgerissen. Auch die anderen aus der Gruppe meinten, meine Gesellschaft sei ihnen ein Geschenk gewesen und ich hab ihnen dafür gedankt, dass sie mich so herzlich und vor allem so selbstverständlich aufgenommen haben. Es scheint Teil ihrer Quakerideale zu sein, derart offen zu sein. Ich glaube, ich kenne nicht viele Gruppen, die sich so verhalten und ich fürchte, ich bin auch selbst nicht ganz so offen. Selbstbewusst, offen, freundlich, individualistisch und fröhlich. Sie haben mich wirklich von sich als Menschen überzeugt. Eine tolle Erfahrung und ein perfekter Start meiner Reise.

Ich sehe auch, das wird eine Reise zu den Religionen, wobei die bis jetzt näher betrachteten doch ziemlich klein sind. Erst die Quaker, heute mit ihnen im Bahaitempel die Bahais, ein Glauben, der aber offenbar auch sehr offen ist und Menschen aller Religionen dazu einlädt, in ihrem Lotustempel still zu beten und zu meditieren. Eine ihrer Regeln ist, dass jeder seine eigene Wahrheit auf seine Weise finden soll, eine andere ist aber der strikte Gehorsam gegenüber der eigenen Regierung. Da fragt man sich dann doch, ob das nicht widersprüchlich ist, grrrrr, als Philosoph und überhaupt als denkender Mensch. Was denn nu? Eigene Wahrheit oder die der Regierung?

Am Abend kam Rachana vorbei, eine Inderin, die schon eine lange Reise durch Deutschland hinter sich hat und auch in Regensburg aufgetaucht ist, wo ich ihr übers Auslandsamt helfen konnte. Sie ist sehr nett, sehr westlich, sogar weit westlicher gekleidet als ich hier und spricht ein fließendes, lockeres Englisch. Sie hat offenbar beschlossen, sich meiner noch so richtig anzunehmen, hat für morgen Abend eine Freundin mobilisiert, die mit mir shoppen gehen wird und will mir am Wochenende die Stadt zeigen. Sie hat mich strikt angewiesen, was ich für Rikshafahrten, Kleidung, Übernachtung und Essen höchstens ausgeben sollte. Es geht da auch ein bisschen um Erziehung, will mir scheinen. Wenn man den Leuten hier zu viel gibt, neigen sie dazu, den Respekt vor den Westlern zu verlieren und sie auszunehmen. Auch wenn wir es kaum merken und selbst ich mit meinem engen Budget eine reiche Person bin, sei das nicht gut. „You have to fight every Rupee“ hat sie gesagt. Nun, einmal bin ich beim Taxifahren mit meinen acht Euro vom Flughafen ja nun schon ordentlich übers Ohr gehaut worden, das passiert mir nun nicht mehr.

Weitere Unterstützung ist gekommen in Form meiner Nachbarin, die Amerikanerin ist, nun aber einen australischen Pass und einen indischen Vornamen hat (den ich ständig vergesse) und seit 17 Jahren in Indien lebt und reist. Sie lebt ein nomadisches Leben, wie sie sagt, arbeitete sich offenbar schon ziemlich weit durch die Welt und war länger in Neuseeland und Australien. Kurz, sie kennt sich mit all den Dingen, die mich momentan interessieren, besonders gut aus und meint, ich würde das alles bestens hinkriegen, schließlich ginge es vor allem darum, mit Leuten in Kontakt zu kommen und das sei nun wohl meine einfachste Übung. Zu ihr bin ich heute in einen sogenannten „dormitory“ gezogen, der gleich sechs Euro weniger pro Nacht kostet, mir aber dennoch einen großen, sauberen eigenen Raum bietet. Nur das Bad teilen wir uns und es gibt eine Durchgangstür. Vier Euro Übernachtung und Vollpension sprengen meinen Rahmen nun wirklich nicht...

Nein, das mit dem Essen ist gar nicht so wie erwartet. Ich esse hier prächtig, dreimal am Tag, Reis ist in irgendeiner Form eigentlich immer dabei. Dazu gibt es Gemüse in verschiedenen Geschmacksrichtungen, nicht zu scharf und man kann so oft kommen wie man eben Hunger hat. Das beste ist der gute Joghurt und die warmen Brote, Tschabati gesprochen. Immer wieder ein wenig Chai und man kann sich beileibe nicht beklagen. Strikte Diät jedenfalls würde ich das hier nicht nennen.

Ab morgen bin ich noch ein kleines bisschen mehr indisch, ausgerüstet mit einer hiesigen SIM-Karte für mein Handy, mit der ich international sehr billig SMS senden kann und vor allem superbillig innerhalb Indiens telefonieren. Eine Minute ein Rupee, das sind zwei Cent.

Meine weiteren Reisepläne gehen nun vage gen Norden und Himalaya in einen weiteren Ashram mit Kontakten von Rachana drum herum, die mich offenbar zum Wandern mitnehmen werden. Sie hat mir auch eine Kamelsafari empfohlen und will mich einigen Rhinozerussen näher bringen.

Autoriksha zu fahren ist übrigens eines der Abenteuer, die ich jedem dringend ans Herz legen würde. Richard, Beth und ich waren heute mit einem zum Lotustempel unterwegs. Das Ding hat drei winzige Räder und sieht mehr wie ein breiter, überdachter Roller aus. Zu dritt darin hinter dem Fahrer zu sitzen, ist eine richtige Herausforderung für dessen Motor und wir hatten Spass mit dem Fahrer als wir demonstrativ vor und zurück wippten, wenn er über Brücken fuhr, um das kleine Gefährt überhaupt irgendwie auf die Anhöhe zu bringen. Abenteuerlich auch die Überholmanöver. Brrrrrrrrmmmmmmm!!!

Das lustige ist, dass ich in den vergangenen drei Tagen schon wirklich sehr viel gesehen und erlebt habe. Hätte ich irgendwas davon geplant, hätte es vermutlich nicht funktioniert oder wäre zumindest in Stress ausgeartet. Nun ist es eher so, dass ich dem „Flow“ des Reisens und auch Indiens folge und damit ständig an Zuversicht und Freude gewinne.

Puh – wenns darum geht, abzuarbeiten, was man mir mit auf den Weg gegeben hat, so kann ich heute einen weiteren Punkt abhaken: Jaha, es ist anstrengend hier! Das kommt zwar auch vom Jetlag, liegt aber vor allem an Lärm und Geschäftigkeit. Erstaunlich, wie viele kleine und große Fahrzeuge sich hier aneinander drängen. Zwei Autorikshas, ein Bus, dazwischen noch drei Roller und ein Motorrad sind ganz üblich. Und als armer Fußgänger rennt man lebensmüde irgendwie von der einen auf die andere Seite. Als Kuh tut man uebrigens das Gleiche, nur etwas weniger beschwingt

Frisch geschniegelt in meiner indischen Tracht hab ich heute viel Lob eingefahren (what beautiful colours- it really suits you!!) - Ihr könnt selber gucken, was Ihr davon haltet! Das Adaptieren an die
Standards scheint mir in der coolen Businesswelt ganz gut, hier aber weit wichtiger. Es gewährt gewissen Respekt und Zuneigung und erleichtert somit das Fortkommen. Heisst es und erfahre ich auch ein wenig.

Heute war der große Gandhitag. Die Quaker und ich fuhren in einem Mini in der Größe eines Twingo zu fünft plus Fahrer kuschelig zur Gandhi Peace Foundation. Dort wurden wir darüber unterrichtet, wie schwer es die Leute auch heute noch haben, ihr bisschen Land zu verteidigen und dass im Grunde Armut hier kein Problem sein müsste, gäbe es nicht diese masslose Gier einiger weniger. Da tut gewaltlos Veränderung hier wie überall sonst Not. Es stimmt: die Menschen sind doch überall gleich, wollen ihren Frieden, ein kleines Plätzchen, an dem sie leben können und eine Familie, mit der alles gut läuft. Ein Ziel meiner Reise ist sicher, diese Erkenntnis zu stärken: wie sehr sich die Menschen ähneln und wie sehr wir doch trotz anfänglicher Fremdheit zusammengehören und auch – hängen. Was weitere Lerneffekte anlangt, halte ich Euch auf dem Laufenden ;). Als Krönung des Vortrags tanzte uns Gauri, eine Yogalehrerin und sehr strahlende, energiegeladene Inderin das Leben Gandhis vor. Sie ist Single und liebt ihr Rebellentum, das Flirten und Deutschland. Bald will sie einen Tanz fuer Michael Endes Momo entwerfen und nach Deutschland kommen. Dass ich Deutsche bin, hat sie so gefreut, dass sie mich herzlich umarmt hat.

Und wenn schon Gandhi, dann richtig, ging es weiter zum Gandhimuseum, in dem unter anderem seine Dritten Zähne und sein Lieblingszahnstocher ausgestellt sind. Die Verehrung ist grenzenlos. Um den Ort seiner Ermordung wurde ein Park mit Gedenkstätte gefeiert, am Boden seine letzten Schritte einbetoniert. Ich habe mich von all dem mitreißen lassen und werde die hier erworbene Gandhibiographie von Louis Fischer lesen. Ich kann mir nicht helfen, ich muss immer an den Film und damit an Ben Kingsley als Gandhi denken.

Man kann hier doch mehr Geld als gedacht ausgeben, zehn Euro Übernachtung und Vollpension plus Herumfahren und Klamotten- und Bücherkauf und schon ist man auch sechzig Euro los. Nun ja, auf dem Land soll es billiger sein und die Verhältnismäßigkeit will ich nun auch nicht verlieren. Eine Französin, die hier als Freiwillige arbeitet, empfahl mir, in der Himalayagegend in einem Ashram Station zu machen. Dort sei es einfach, aber billig und unfassbar malerisch. Auf den Ashramgeschmack kann man im Sri Aurrobindo Ashram durchaus kommen, es ist ruhig, sauber und das Essen ist gut und dem westlichen Magen angenehm. Man fühlt sich sicher und wohl, wie mir auch die Quaker bestätigen. Wir sind auf weitere, teils australische Quaker getroffen. Ein herrlicher, kleiner Vorgeschmack auf die Menschen, zu denen ich bald reise. Einer von ihnen, Mary-Anne, steht das Lachen ins Gesicht geschrieben. Als ich ihr das sagte, lachte sie natürlich und meinte: „mich hat mal jemand auf einer Konferenz gefunden mit der einzigen Info „sie lacht gern“.“ Mit meiner kleinen Reisegruppe werde ich nun noch mitfiebern, ob Obama gewinnt, wie wir alle hoffen, nachdem wir nun schon unser Beileid für seine gerade verstorbene Oma einander kundgetan haben. Ich habe ein gutes Leben als adoptiertes Quakermaskottchen, das die Truppe zum Lachen bringt.

Ich mag die vielen kleinen Streifenhörnchen, die hier durch die Bäume flitzen und muss mich zurückhalten, die Hunde nicht zu streicheln, die hier herumstreunen. Natürlich zeigt sich auch die Armut, die Menschen haben sich teils auf dem Boden neben den dicht gedrängten Straßen zum Schlafen zusammengerollt.

Das einzige, was mich noch ein wenig nervös macht, ist die Transportfrage. Wie komme ich hier alleine weiter? In einer Autoriksha, was eine wilde Tour verspricht? In einem Taxi, von dem man nicht so ganz genau weiß, wie und wer es wo hin fährt? Mit dem Bus, dessen Beschriftung ich außer der Zahl der sogenannten Linie nicht lesen kann? Mit der vielleicht gar nicht existenten Metro? Morgen treffe ich Rachana, eine Doktorandin, die in Regensburg war. Sie wird mir schon noch ein paar Tipps geben. Eine amerikanische Bekannte hier im Ashram, die schon seit vielen Jahren in Indien lebt, meinte „Don't worry – India will take care of you!“ und das hat es auch schon in vielen Weisen. Heute stand eine Freundin besagter Rachana vor meiner Tür, um mir ihr Handy zu geben, so dass ich mit Rachana sprechen konnte. Einfach so – Service und Fürsorge kommen in großem Maß zu mir!
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