Dienstag, 30. Dezember 2008

Queen Charlotte wartet





30-12-08

Manchmal wird den Menschen das Gutmenschtum auch aufgezwungen. Eike, unser neuer Bekannter aus dem Raglan Backpackers, hat einen grossen Kombi gekauft und Alan, unser kleiner alter Mann, hat ihn einfach gefragt, ob er uns zum Bus bringen kann. Er konnte, wenn er auch das Auto nicht mehr ausladen wollte, so dass wir ein bisschen im indischen Stil zwischen und unter Rucksäcken und Surfboard nach Hamilton einfuhren. Acht Stunden Busfahrt über die Nordinsel standen uns bevor, um nach Wellington, Neuseelands Hauptstadt zu kommen.

Wir freuten uns auf die Stadt, in der es dann aber letztlich doch wieder nicht so viel zu sehen gab. Es hat schon seinen Grund, warum die Neuseeländer die schönsten Fishing and Hunting Läden haben und sich offenbar ständig draussen aufhalten. Die Städte sehen einfach doch recht ähnlich und ein bisschen nach Wellville Pappkulissen. Da ist natürlich nix von wegen Gotik und Barock, Kopfsteinpflaster und verwinkelten Gassen. Farbig, hell, glatte, frisch geteerte Strassen und diese pragmatisch parallel und in 90 Grad Winkeln zueinander angelegt.

Sehr funktional ist auch die Frage danach, ob man sich hier ein Auto kauft. Kein deutscher Autowahn, die Dinger sind auch einigermassen erschwinglich und ich überlege mir, ob ich das erste Auto meines Lebens kaufen und später wieder verkaufen werde. Hat alles seine Vor- und Nachteile. Man muss dann auch drin rumfahren, kommt aber besser rum, kann drin schlafen und seine Ausrüstung drin parken und die Kosten werden normalerweise nicht höher.

Auf der Überfahrt mit der Fähre auf die Südinsel boten sich mir nicht nur Postkartenmotive und herrlich erfrischender Wind, sondern auch ein Schwabe, der sich über die Maori mit soviel Ernsthaftigkeit und Schwung ausliess, dass ich nur noch lachen konnte. Sein Kumpel Lars hat eine Maorifreundin, die mittlerweile in Deutschland lebt. Nun wurde sie zusammen mit den beiden Männern zu Weihnachten nach Hause eingeladen. Unser Freund hier hatte erwartet, dass er in den reinen Luxus kommt und ihn Tradition pur erwartet. Nun landete er bei einer Truppe streitender Verwandter (Drama Galama nannte er es), die nichts anderes im Sinn hatten als sich kollektiv zu besaufen und zu streiten. Für ihn und die anderen beiden hatten sie einen alten, dreckigen Schrottkarren bereit gestellt, mit dem sie die Gegend erkunden sollten. Er hat sich so köstlich aufgeregt, dass ich nur noch lachen musste auf dem windigen Deck. Da hat er seine wohlgeordneten Erwartungen nach Neuseeland getragen und ist mächtig enttäuscht worden. Und anstatt die herrliche Landschaft, das Leben und den Urlaub zu geniessen hat er sich in Herzinfarktnähe aufgeregt anstatt sich zu freuen, dass er ein Auto umsonst gekriegt hat. Wir hätten es sofort genommen. Und das auch schon vor unseren heilsamen Erfahrungen in Indien.

Auch Alan hat sich der Ansicht angeschlossen. Er ist mit uns nach Picton auf der Südinsel übergesetzt und hat sich dort spontan eine Vespa gekauft, mit der er nun das Land unsicher macht. Er meint, er würde in Hostels übernachten, selbst wenn er jetzt eine Million gewänne. Was will er einsam im Luxushotel sitzen, wo er doch so viel familiäre Umgebung in den Hostels erlebt und dieses Jahr vielleicht das beste Weihnachten jemals erlebt hat, wie er heute meinte. Hier wird uns kostenlos Brot gebacken, man kann Kayaks und Fahrräder einfach nutzen und es ist immer wer da, mit dem man sich nett unterhalten kann. In Raglan gab es kostenlose DVDs, viele Bücher, Angeln und Transport zum Strand. Nicht zu vergessen das nett organisierte Weihnachten mit Geschenkeaustausch und riesigem Buffet.

In Wellington gingen wir drei noch ins Te Papa Museum, das Museum über Neuseeland. Ich freute mich über das verspielte moderne Museumskonzept. Eintritt frei. Hier wird viel mit Vergleichen gearbeitet und Dinge werden anschaulich und zum Anfassen dargestellt. Sie haben sogar ihren eigenen kleinen Busch angepflanzt, mit Wasserfall und den ältesten Felsen des Landes. Ein Riesentintenfisch, der bestimmt zwei Meter lang ist und Kiwis, unzählige andere Vögel und ein überfahrenes Possum, das als Skelett auf einer Strasse versteinert ist, waren zu bewundern. Man sah Filme über Klima und Naturkatastrophen und konnte Gesteinsproben aus verschiedenen Erdschichten heben und ihr Gewicht vergleichen und in einem Häuschen ein Erdbeben nacherleben. Ich hatte mein wahres Vergnügen und merkte mir Dinge leichter als ich es im alten Museumsstil mit Tafeln und braven Exponaten täte.

Claudia möchte in kurzer Zeit die Insel umrunden, ich bin mehr für das langsamere Reisen, zumal Fahren teuer ist und ich die Zeit habe. Für die nächsten drei Tage haben wir uns auf einen der Great Walks, den Queen Charlotte Trek einigen können. Wir werden von der netten Hostebesitzerin Stef um halb acht zum Hafen gefahren und werden dann mit einem Wassertaxi erst zu einer Vögelinsel ohne Fressfeinde gefahren, wo wir hoffentlich von herrlichem Gezwitscher umringt werden. Dann geht es weiter zu Ship Cove, wo wir die Wanderung starten. Unsere Campingausrüstung wird uns zu den beiden Campingplätzen geschippert. Wir werden Silvester recht ruhig am Wasser im Zelt verbringen. Und Ihr dürft Euch auf nette Landschaftsbilder freuen.

Euch allen einen wunderbaren Rutsch und ein herrliches 2009! Sollte bei dem ein oder anderen der Neuseeland auf dem Plan stehen, kann ich ihn oder sie nur bestärken. Grosses Tennis!

Donnerstag, 25. Dezember 2008

Freeeeeeeiiiiiiiiiheit!








Weihnachten findet in Neuseeland am 25. statt und ich berichte live mit meinem kleinen Netbook vor der örtlichen Bücherei, abends um zehn. „When in Rome, do as the Romans do!“ lautete da das Motto und wir haben im Hostel gemeinsam gefeiert. Nach einer ordentlichen Surfsession versteht sich. Ich stehe immer noch hübsch in den Wellen – manchmal. Wenn die Wellen gnädig sind und meine Technik richtig. Da gab es Claudias und meine Vanillekipferl nach Mutters bewährtem Rezept, für die wir extra um halb acht aufstanden und jeder Gast trug seinen Teil bei, was zu einem herrlichen Mahl führte. Natürlich hab ich mich weihnachtlich vollgefressen mit Crepes, Braten, Reissalat, Tortilla, Knoblauchbrot, Pralinen und zahlreichen anderen Leckereien. Dann kam der Santa, auf dessen Schoss jeder sitzen durfte und ihm ein Küsschen geben. Ich nahm meine Bodybutter in Empfang, die ausgesprochen feuchtigkeitsspendend sein soll und nach Nuss riecht. Dafür wurde von mir jemand anders mit einer kleinen antiken Box überrascht. Ich rief Jacques und Cherry an und schon fühlt sich alles recht lauschig nach ein wenig Heimat an. Man hat ein bisschen Familiengefühl, vor allem auch im Hostel.

Da fühlte ich mich nach einem langen Strandspaziergang und fühlte dort erstmals so richtig, was mir bis dato schon bewusst war. Ich drehte mich wie eine Blöde im Kreis unter der Sonne und dem ewig weiten Strand, der sich gar nicht auf ein Photo bannen lässt und den ich ewig weiter wandern wollte, ich sang und freute mich und fühlte mich: frei. So frei wie nie. Was für ein herrlicher Zustand. Ich weiss nur, dass ich hier noch zwei Nächte verbringen werde, vielleicht mit Claudia eine Woche ein Auto haben werde. Ich weiss nicht, wie und wo und mit wem mein Leben weitergeht. Und ich habe es umarmt, das Leben und gejubelt. So fühlt sie sich also an, die Freiheit. Ich kann laufen, so lange und weit ich will, reden mit wem ich will oder es bleiben lassen. Da sind keine Verpflichtungen, kein Job, dem ich nachgehen müsste. Keiner erwartet etwas von mir, ich muss mich nicht zusammenreissen, meine Energie bremsen. Ich muss nicht cool tun, ich kann einfach nur geniessen, jeden Tag, jeden Moment. Und trotzdem treffe ich ständig auf Leute, die mich ernsthaft zu mögen scheinen. Es gibt einige Orte, an denen ich mich zu Hause fühlen könnte. Und mir dämmerte, dass das die beste Zeit meines Lebens sein könnte.

Dienstag, 23. Dezember 2008

Weihnachtsglück in Raglan



Ganz liebe Weihnachtsgrüsse an alle, die hier virtuell mit mir mitreisen! Vielen Dank für Eure netten Kommentare, es macht wirklich Spass, für Euch zu schreiben!

Ich bin nun schon den dritten Tag in Raglan, bei, auf, unter und in Neuseelands berühmtesten Wellen. Ich hatte befürchtet, ich müsste meine Surferei nochmal von vorn anfangen, aber das stimmt nicht. Ich stehe noch immer auf dem Brett, was für mich einen wahren Glücksrausch und lautes Jubelgeschrei bedeutet, was von einer Engländerin kommentiert wurde mit „You've got a constant smile on your face!“. Nach dem ersten Abend am Strand bei Sonnenuntergang mit einem Bodyboard, auf dem man nicht stehen, sondern nur mit den Wellen gleiten kann, hab ich gestern die Wellen auf einem richtigen, echten Surfbrett genossen und beste Bedingungen für mich vorgefunden. Wenn schon nicht skifahren, dann surfen zu Weihnachten, das ist doch eine herrliche Alternative. Die Wellen, das Brett und ich. Mehr zählt da nicht. Und das Glück ist immer dabei.

Auch das Hostel ist toll. Mit 28 NSD (man kann hier einfach wieder in Mark denken, also 14 Euro) sehr erschwinglich. Man ist angehalten, die Schuhe draussen auszuziehen und es werden offenbar nur nette Menschen aufgenommen (ich hoffe auf keine Widerworte von Euch!). Ein betrunkener Kerl wurde einfach weiter geschickt, mir aber eine ganze Woche gegeben, obwohl erst nichts frei war. So ergibt es sich, dass alle mit einem Lächeln herumlaufen und wir uns bestens verstehen. Die meisten surfen, essen gesund und brauchen keine Besäufnisse und Lärm, um glücklich zu sein. Man unterhält sich gemütlich, kocht gemeinsam und sitzt zusammen im warmen Whirlpool und könnte sogar in die Infrarotsauna und guckt DVDs am Abend. Eine grosse, schöne WG mit Heizdecken für die Verfrorenen.

Hier habe ich auch Alan, einen 76-jährigen Engländer, kennen gelernt. Er schreibt wunderbar witzige Gedichte und wir plaudern viel. Besonders gefällt mir, dass er auf einem seiner letzten Neuseelandbesuche Anne kennengelernt hat, die mittlerweile 27 ist. Sie hat nie einen Grossvater erlebt und er hat nur einen Enkel. Nachdem sie sich so gut verstanden und Alan mit ihr shoppen ging, aber auch wie sie gerne lange Wanderungen unternimmt und im letzten Jahr sogar einen Tandemfallschirmsprung gemacht hat, haben sie festgestellt, wie sehr sie sich mögen und verstehen und er bot ihr an, sie als Enkelin zu adoptieren. Sie ist ganz wie eine echte Enkeltochter für ihn und sie treffen sich regelmässig. Alan will dieser Tage mit uns surfen gehen. Das Leben wird hier genossen, in vollen Zügen, von allen, die ich getroffen habe. Verspieltheit und Freude haben nichts mit Alter zu tun und Sorgen auch nicht. Hier fühle ich mich daheim.

Claudia aus München ist mit eigenem Surfbrett wie ich über Indien angereist und wir tauschen unsere gemeinsamen Geschichten von dort aus. Als Westler macht man doch ähnliche Beobachtungen in diesem so ganz anderen Land. Wir sind beide sehr froh, dort gewesen zu sein und mindestens so glücklich über unsere Zeit hier.

Natürlich ist das Leben hier im Hostel wieder ganz anders als auf den Farmen. Die Menschen tragen bunte, lustige Surfklamotten und sind alle unterwegs, die meisten haben sich wie ich länger Zeit genommen und arbeiten hier auch. Ich war bis dato sehr sparsam und mein Kontostand ist immer noch sehr solide, aber ich gucke mich dennoch nach Jobs um. Die Deutschen, die hier in meinem Zimmer wohnen, haben gerade fünf Wochen auf Weinbergen gearbeitet und wissen nun den Wein weit mehr zu schätzen. Ich habe ein Angebot, Blaubeeren zu pflücken, das ich annehmen will.

Es ist einfach immer viel los und ich halte es kaum aus, still zu sitzen und die weitere Reise zu planen, auch wenn es heute regnet. Man könnte ja kayaken, radeln, fischen, wandern. Ich werde mich nochmal in die Wellen stürzen und mein Standvermögen erweitern. Es ist schwer, dieses Leben nicht zu mögen. Gut gelaunte Menschen, mit denen man sich austauschen kann, unzählige Dinge, die man tun kann, eine herrliche Landschaft. So lässt sich das Leben aushalten, auch wenn es einfach nichts mit Weihnachten zu tun zu haben scheint, so sehr man sich auch bemüht, mit Bäumen und Girlanden. Aber eines kann ich sagen: es braucht nicht viel fürs Glück. Ein ordentlicher Rucksack, ein paar gute Wellen und Menschen, denen man gerne vertraut. Das ist doch auch Weihnachten, irgendwie.

Montag, 22. Dezember 2008

Saddest day






It is the saddest day – for I am leaving and not coming back. Mit Cherry habe ich den Vormittag in der Küche verbracht. Wir haben die Weihnachtsbäckerei fortgesetzt und über Jacques geredet und sein Leben und eine verflossene Liebe geredet. Sie meint, ich würde ihm richtig gut tun. Cherry hat mich in gewisser Weise in die Familie aufgenommen. Und nun sitze ich im Bus und schaue übers hügelige grüne Land, mit meinem kleinen Weihnachtsgeschenk, das ich mir selbst gemacht habe. Ich konnte nicht widerstehen und habe mir Sam Hunts Gedichtband gekauft. Cherry schätzt ihn auch sehr. Sie ist wirklich grossartig und sehr attraktiv für ihr Alter, wie mir auch am Konzertabend auffiel, wo sie in grünem Kleid mit gerader Haltung einfach strahlte. Sie hat sich sehr gefreut, als ich ihr das sagte.

Ich glaube, ich habe noch nicht viel vom Konzert erzählt. Sie hat mir die Eintrittskarte zu Weihnachten geschenkt, die reizende Cherry. Ein grosser Chor sang vor allem englische Weihnachtslieder, dazu spielte eine ausgezeichnete Bläserband. All das hat mir erstmals ein bisschen Weihnachtsstimmung vermittelt. Zumal wir mitsingen durften, was ich natürlich aus voller Brust mit viel Genuss tat. Neben mir sass ein 74- jähriger Herr und neben ihm eine Dame. Wir plauderten ein wenig über meine Reise und irgendwann beugte er sich rüber und sagte: Ich bin gerade in ein Retirement Village in der Nähe von Auckland gezogen. Ich war verheiratet, habe mich von meiner Frau getrennt und bin dorthin. Da habe ich Betty getroffen, nach 62 Jahren haben wir uns wiedergesehen. Sie hat nie geheiratet und wir konnten einander nie vergessen. Nun sitzt sie neben mir. Aber wissen Sie was (und er dämpfte seine Stimme): bis jetzt sind wir nur Freunde!“
Ich war einfach hingerissen !

Ich denke zurück an den netten Videoabend gestern mit Pizza und Jacques auf dem Sofa, ich denke zurück an den herrlichen Sternenhimmel, den ich natürlich noch nie gesehen habe. Herrlich klare Sterne am anderen Ende der Welt auf Jacques Paradieshügel. Die schönen Joggingrunden, die wunderbaren Abendessen, die er gemacht hat und unsere wilde Fahrt in seinem Auto Richtung Auckland mit lauter Trancemusik. Er hat recht: so spürt man, dass man lebt. Cherry hätte mich sehr gern über Weihnachten behalten, nur leider haben sich die Französinnen schon eingebucht gehabt, bevor ich überhaupt kam. Sie reden nicht, auch nicht mit Cherry und helfen ihr nicht, was ich natürlich mit Freude getan habe. Eine befreundete Familie hat angeboten, mich über Weihnachten aufzunehmen. Ich bin wirklich fassungslos über soviel Liebenswürdigkeit.

Nun auf nach Raglan, wieder auf ins Ungewisse, hoffentlich aufs Surfboard. Und wenn ich keine Unterkunft finde, kann ich mein nigelnagelneues Bivvybag ausprobieren und die Sterne bewundern. Wer weiss, was kommt. Es wird alles gut, da bin ich sicher. Mit aller Freude und aller Traurigkeit. Das ist eine Reise ins Ich und sie bringt mich den Menschen, von denen so viele so unglaublich gut sind, und der Natur so nahe. Ich könnte heulen vor Freude und Traurigkeit auf einmal.

Freitag, 19. Dezember 2008

Surfen? Arbeiten? Das sind Entscheidungen....





Ich habe beschlossen, dass ich am Sonntag wieder meiner eigenen Wege gehe. Ich hoffe, es geht nach Raglan, dem grossen Surferparadies, wo ich womöglich auch Weihnachten verbringen werde. Ein paar weitere Recherchen sollten da Klarheit bringen. Dort gibt es Wwoofingmöglichkeiten, an denen ich beim Schlachten dabei sein könnte und manche sagen ganz klar, dass sie viel surfen. Das hiesse, dass ich Arbeit und Vergnügen in einem hätte, lernen und Spass, ganz das Überraschungsei.Und das will man doch zu Weihnachten. Ausserdem habe ich mich bei Greenpeace als Strassenanschwätzer beworben und warte auch auf Antwort von Obstpflückern, die einem Unterkunft, Essen und Geld geben, wenn man brav Kiwis sammelt. Mit mehr Geld liesse sich ein Auto leihen und ein Surfboard samt Neoprenanzug kaufen. Hm. Das sind Sorgen...

Zu Jacques und mir stiess Tara aus England ins Häuschen auf dem Hügel. Sie war hier auf der Farm beim Wwoofen vor einem Jahr und kam auf Besuch. Sie ist wirklich amüsant und wir hatten eine lustige Zeit gemeinsam mit einem sehr langen Abend, an dem ich ein wenig und die beiden anderen recht betrunken waren. So richtig hab ich das mit dem Alkohol trotzdem noch nicht raus – mir wird ein wenig schwindlig, aber ansonsten merke ich keine besonders erquicklichen Effekte. Jedenfalls wurde viel gelacht.

Jacques ist wirklich einer von den rundum Guten und ich freue mich sehr, dass es solche Leute gibt. Fleissig, lustig, schnell, sportlich und einfach ein netter, hilfsbereiter Kerl. Scottie dagegen scheint etwas „pissed off“ von mir zu sein. Ich fand es nicht lustig, wie er mit seiner kleinen, unfassbar ungezogenen Tochter umgeht und ich fand es auch nicht lustig, wie er aufs Derbste versuchte, Jacques über mich auszuspionieren. Ich habe einfach gar nichts erzählt ausser Jacques Motto „Was auf dem Hügel passiert, bleibt auf dem Hügel“ und er solle Jacques doch selbst fragen, wenn erwas wissen wolle. Scottie meinte, dafür müsse ich nun den ganzen Tag Kuhscheisse schaufeln. Daraufhin sagte ich, das solle er mal schön lassen, ich könnte mich weigern und ihn „obnoxious“ nennen, was „unausstehlich, rüde“ bedeutet (und was er offenbar nicht mal kannte). Das hat er mir nun furchtbar übel genommen. Er ist einer von den Typen, wie man sie in amerikanischen Komödien a la Chevvy Chase erwartet. Gummistiefel, verschwitzt, schräge, dreckige T-Shirts ( „I am with Ms. Right. I just didn't know that her first name was Always“, aber das ist ja fast schon wieder gut), braune Zähne und immer ein paar fucking bloody Flüche parat, die er natürlich auch immer gern seiner Tochter zuwirft. Er hat sich wohl bei unserem dritten Mann, dem Farmchef Jamie, beschwert, dass ich schreckliche Wörter in seiner Gegenwart über ihn sage. Auch die Französinnen haben sich nicht gerade gemausert und zudem wenig Initiative ergriffen. Sie schauen weiter sehr finster und haben sich mehr oder weniger meinem Kommando ergeben, zumal sie den hiesigen Slang nun schon dreimal nicht verstehen und Jamie und Scottie beschlossen zu haben scheinen, mir nun die Anweisungen zu geben. Gestern war zudem noch Benzin und Diesel zu holen, den ich munter in einem ungeschickten Moment über meine Hose goss. Da war ich dann froh, als ich abends ein Bad im benachbarten Pool nehmen konnte. Und auch Jacques Spezialmoskitovernichter habe ich zu schätzen gelernt. Das Ding ist eine Art Tennisschläger, das man durch Knopfdruck unter Strom setzt und die kleinen Mistviecher so erglühen lässt. Ausgerechnet ich friedliebende Person weiss das nun zu schätzen, wenn sie in Heerscharen des Nächtens einfallen. An Tieren weiss ich mittlerweile auch den Vogel Tui zu schätzen, der den lustigsten mir bekannten Tiersound macht. Erst ein kleines Pfeifen in mittelhoher Lage, aufsteigend und dann wieder ein Glissando nach unten. Soweit alles gut. Dann kommt aber ein Geräusch, das so klingt als würde man Alu und Papier zusammenrascheln. Sehr eigentümlich.

Ich hab noch eine Runde Vanillekipferl für die Familie gebacken, die alle köstlich finden. Und ich war mit Cherry auf einem Chorkonzert mit exzellenter Bläserband. Das erste Mal, dass ich mich ein wenig weihnachtlich fühlte.

Lektion dieser Tage: Paradiese haben eben auch ihre Ecken und Kanten. Genug Disteln gehackt, entfleuchte Kühe und Lämmer gejagt und eingefangen, riesigen Pickup (röööööööööhrrrrrr) auf der linken Strassenseite und übers Feld gefahren, Küchenarbeit gemacht, Unmengen Würste gekocht und gegrillt, Garagen gekehrt, Unkraut gejätet und Aprikosen sortiert.Wie schnell ich mich aber dann doch heimisch fühle in so einer ganz anderen Umgebung. Ich habe gesehen, dass ich meinen gesunden Menschenverstand hier sehr gut gebrauchen kann und dass ich eben doch mittlerweile ein Persönchen geworden bin, das sich nicht alles gefallen lässt und seine Meinung sagt. Das lieben zwar nicht alle Menschen, aber am Ende kann ich mir aufrichtig im Spiegel entgegenschauen, das ist auch was wert. Und die Guten, die Jacques dieser Welt, die stehen da ganz auf meiner Seite.auf

Dienstag, 16. Dezember 2008

Der gute Jacques






Der Abschied von den Bartletts war in Ordnung. Ich bekam noch ein Lob, dass ich wirklich sehr hart an den Unkräutern war und wenn alle Wwoofer so arbeiten würden wie ich, hätte man den Garten locker in Schach. Na, das ist doch schon mal was. Ansonsten isses auch mal wieder gut, woanders hin zu gehen. Zumal ich jetzt wirklich einen guten Tausch gemacht habe.

Nun bin ich bei Jacques Goussard in Pokeno bei Bombay, eine dreiviertel Stunde von Auckland entfernt. Er hat mich direkt in Auckland aufgesammelt. Schon am Handy klang er sympathisch und ich war ziemlich begeistert als er vorfuhr und bin es noch: freundlich, gutaussehend, sportlich, offen und ein etwas gemeiner Humor. In unfassbar vielen Dingen ganz mein Stil. Er kocht gut, isst gesund, surft, mag klassische Musik, hat ein wirklich schönes Haus auf einem Hügel, von dem aus wir die ganze Gegend überblicken. Er ist viel in der Welt herumgekommen, geboren in Südafrika, gelebt in Holland, gereist in Europa und ist an Kunst und Musik und an den Eigenheiten der Menschen interessiert. Von denen hat er schon viel gesehen, wurde mit Waffen bedroht in Afrika, hatte eine Managerposition dort und hat nun Scottie als Kollegen, der, nun ja, ein wenig an lustige wilde Jungs in amerikanischen Filmen erinnert: munter, sehr chaotisch und ein rechter Aufschneider. Aber auch irgendwie in Ordnung. Hier scheint es nicht so viele Regeln zu geben wie bei den Bartletts, er und Scottie und Jamie bewirtschaften ein riesiges Land mit sehr vielen Kühen (allein 160 Milchkühe) und Schafen und meine Arbeit wird abwechslungsreich sein. Vor allem werden die Jungs dabei sein und ab morgen noch zwei Französinnen. Ich soll wohl auch irgendwelche Fahrzeuge fahren, werde beim Kuhmelken dabei sein und es scheint einfach Spass zu werden. Zudem geht Jacques gern ins Kino und verkauft Fleisch auf dem Markt – jede Menge Abwechslung also mit einem netten Typen in einem Traumhaus. Klingt nach Paradies.

Zweiter Tag bei Jacques

Ja, es hat was von Paradies hier. Man arbeitet zusammen, erst war ich dabei, Unkraut in der Einfahrt zu vergiften (wir witzeln schon, dass ich ausgerechnet damit auf einer Biofarm anfange), dann gings zum „grubbing“- wir haben Disteln aus dem Feld gehackt. Anstrengend, aber auch nett in dieser Gesellschaft und sicher aufregender als die drei Tage Unkrautjäten, die ich zuvor genossen haben, nach rigorosem Stundenplan. Besonders nett ist weiter Jacques, der hier ganz klar der Intellektuelle ist und deshalb auch mal schräg angeschaut wird. Er zieht sich auch gern mal zurück, was die anderen beiden nicht recht verstehen können, ich aber nur zu gut. Nach dem Unkraut gings ans Kühemelken und Scheissevomhofspritzen, das Melken hat mir doch tatsächlich bis dato am besten gefallen. Man muss schnell sein, es läuft dann aber auch alles ganz gut und man weiss sehr klar, wofür man es tut. Man treibt die 160 Kühe zusammen, sie gehen nach und nach in eine Art Karussell, in dem ich ihnen nach und nach von hinten die Melkmaschine aufsetzte. Ich war voller Kuhscheisse und wurde viel gelobt, es würde sonst zwei Wwoofer für diesen Job brauchen, ich würde das sehr gut machen. So machts natürlich noch mehr Spass. Doch nicht so schlimm mit den abgehobenen Philosophen. Danach waren die Jungs beim Tennis und ich beim Schwimmen im nahegelegenen Luxushotel. Ein Barbecue mit Fleisch vom eigenen Hof, schön Bio versteht sich, hat den Abend beschlossen. Jacques wollte zwar lieber allein (und mit mir, hähä) auf dem Hügel essen, aber da wären die anderen schwer beleidigt gewesen. Er erzählt sehr gerne aus seinem Leben, die Gespräche sind sehr interessant und wenn die anderen dabei sind gibts natürlich vor allem Witzchen. Die Französinnen findet er auch etwas frostig und vor allem haben sie ein ziemliches Englischproblem. Wenn ihren eher düsteren Minen doch mal ein Wörtchen entfleucht, versteht man es kaum und erst nach einigem Nachfragen. Ich habe beschlossen, nicht französisch mit ihnen zu reden und habe nicht offenbart, dass ich es könnte, ich will englisch lernen und das sollten sie auch versuchen - oder eben nicht, das ist ihre Sache.

Diese Reise hat für mich auch mit gesundem Egoismus zu tun: ich will viel davon profitieren und viel Spass haben und muss mich nicht vordergründig um andere Leute kümmern. Und für vieles mit vielen Leuten gibt es nur eine Chance, daher sollte ich die besser nutzen. Und obwohl ich mich hier sehr frei fühle und das Gefühl habe, auf dieser Reise nochmal so richtig zu spielen, glaube ich, dass das etwas mit Erwachsenwerden zu tun hat. Ich hole in manchen Dingen auf- heute gabs ein Glas feinen südafrikanischen Wein von Jacques und sogar ein Heinekenbier mit Zitronensaft- yeah. Das Farmarbeiten selbst ist ein wahres Vergnügen, mich stört weder die Kuhscheisse noch das Herumhacken.

Jacques scheint in einer kleinen Krise zu sein, ob er wirklich weiter und immer mit den Jungs herumhängen will. Vielleicht hat das für ihn auch mit Erwachsenwerden zu tun. Ich glaube, darüber werden wir noch öfter reden. Er ist eben doch anders, einer, der gern mal nachdenkt und seine Ruhe hat und nicht so sehr auf Party aus ist. Wie gesagt: sehr sympathisch.

Freitag, 12. Dezember 2008

Laemmer und Rentiere





Nun wurden mir also die Unkräuter anvertraut. Ein grosser Garten- eine Menge Unkräuter und ich würde sagen, ich hab ein anständiges Stück ordentlich umgegraben. Ich will ja gut sein, in dem, was ich tue. Ob das nun Unkrautjäten oder Schreiben ist, sonst macht es auch keinen Spass. Mit Lichtschutzfaktor 50 waren die eingecremten Stellen gut gerüstet. Der Rücken, an dem das T-Shirt hochrutschte, war es natürlich nicht und ich hab einen ordentlichen Sonnenbrand abgekriegt. Seufz. Karen lässt mich durchaus werkeln, nach zwei Sandwiches warf ich aber dann doch um drei die Harke ins Gras und machte mich gen Strand auf. Dort war das Meer qua Ebbe gerade unterwegs, kam dann aber zurück. Was gibt es hier viele Muscheln und das Meer ist unfassbar klar und ruhig, wie ein sehr sauberer See. Die Aussicht ist wunderbar, natürlich. Auf dem Rückweg nahm ich ein Bad im immer noch nicht tiefen Wasser und dachte mir gerade, dass das einsame Wandern doch nach einem Gefährten verlangt. Und zack, schon war er da, in Form eines munteren Hundes mit Tennisball, der mit mir spielte. Er heisst Mac und sein Besitzer, der eine Rudolphmütze auf dem Kopf trug, fand das gleich so gut, dass er mich nach einer Weile zu einem Bier und einem Barbecue einlud. Die Leute dort sind alles Ingenieure, sehr nett und aufgeschlossen, ganz begierig mit mir zu reden und mir Rudolphhörner Santa-Claus-Musik aufzusetzen und mir einen sogenannten Fishcake anzubieten: Fischbatz auf Gurke. All das war ausgesprochen nett und machte mich das Land noch mehr lieben und schmunzeln auf meinem Heimweg. Den musste ich bald antreten, weil meine Familie wiederum ebenfalls zu einem Christmas Barbecue in der Nachbarschaft eingeladen war und ich mitsollte. Auch dort war es sehr in Ordnung, ich hielt mich wie immer an die Männer und hatte meinen Spass. John briet wirklich köstliche und zarte Lammspareribs (Lamm ist hier ein must eat) und herrliche Steaks (mein Wunsch von Indien wurde also prompt erfüllt). Die Neuseelaender sind absolut verrueckt nach Grillen, der besagte Nachbar hat nicht weniger als 4 Grills am Laufen, in jedem Eckchen und auf jeder Etage seines Hauses einen. Die Kunst ist, laessig ein Bier in der einen Hand zu halten, in der anderen einen Wender und dabei richtig laessig auszusehen und am Ende etwas immerhin irgendwie Essbares zu produzieren. Natuerlich ist das nur was fuer Maenner und die Unterhaltung hat sich um Kuehe oder Autos zu drehen. Der andere nette Nachbar schwärmte mir von den besten Wanderwegen vor und will mir sein Wanderbuch leihen, ebenfalls ein Lonely Planet. Daheim schwärmte mir mein Gastvater Bob mit Karten, Büchern und Zeichnungen von den besten Surfspots vor, von denen er einige selbst getestet hat. Die Leute lieben ihr Land und sie lieben die Dinge, die man hier machen kann. Für einen Outdoorfreak wie ich einer bin, ist das grandios. Sie geben einem viele hilfreiche Tipps und verstehen, wenn man sich für solche Dinge begeistert. Vielleicht darf ich sogar mit Bob im warmen Wasser schnorcheln gehen, wo einem bis zu einem Meter lange Fische entgegenschwimmen sollen und man seine wahre Freude haben muss. Mal sehen, ob er glaubt, dass mein Unkrautrupfen solche Zuwendung verdient.

Donnerstag, 11. Dezember 2008

Unkraeuter bei einer netten Familie



Kleiner Tipp für Leute mit Angst vor Jetlag: einfach vor der Abreise viel zu wenig schlafen und schon wird alles wunderbar. Ich jedenfalls habe mich hier schon locker eingewöhnt. Nach zwölf Stunden babygleichem Schlaf bin ich meine Steuernummer anfordern gegangen, die in einer Woche da sein sollte. Welche Jobs ich nun genau suche, überlege ich noch. Es zieht mich nicht recht in ein Büro, wie ich zugeben muss. Und für jetzt habe ich schliesslich schon das Wwoofen entdeckt: ich bin eine Stunde nördlich von Auckland mit dem Bus gefahren und wurde in Warkworth von Karen abgeholt. Sie und Bob leben hier mit den drei Kindern Alec, Sean und Ella auf einem wirklich grossen Anwesen mit einer Ziege, einer Kuh, einigen Hühnern, einer Katze, ein paar Schafen, einem Hasen und einer Wasserschildkröte. Die Kinder sind sehr lebendig und ich habe meinen Spass mit ihnen, beim Fangen, auf dem Trampolin und bei Herumtoben im Gras. Sie sind an ausländische Gäste gewöhnt, hatten für längere Zeit einen japanischen 18-jährigen Buben und auch sonst einige Wwoofer hier.Gleich zu Beginn hab ich mich umgedreht und bei der Gelegenheit Sean, den mittleren, mit einer Tasse Tee uebergossen. Naja, man nahm es locker... Auf dem Grundstück muss die Tage Unkraut gejätet werden, Karen kann sich nach einer Operation am Arm nicht darum kümmern, daher wird das die Tage mein Job sein. Im Austausch dafür habe ich ein gemütliches kleines Häuschen im Garten, sogar mit Fernseher, in den ich wohl nie schauen werde und darf mitessen. Ich sehe das Meer von hier und bin von den Kindern enthusiastisch eingeladen, mit in den Wald zu einem Wasserfall zu gehen und die Glühwürmchen zu beobachten. Vielleicht hat Bob sogar Lust, am Wochenende sein Surfboard zum Strand zu tragen, wer weiss, oder wir malen sein Boot an, mit dem er gerne rausfahren würde. An den Nachmittagen kann ich laufen, zum Strand oder mit Bobs Fahrrad die Gegend erkunden. Er arbeitet in der IT-Branche als Berater. Karen scheint zu Hause zu sein. Ich lerne das neuseeländische Familienleben kennen und wurschtle in der Erde und tue was für die Natur. Wwoofing scheint wirklich geeignet für mich zu sein.

Nach einem Lauf in Auckland mache ich mir jedenfalls nun wirklich keine Sorgen um meine Fitness mehr. Hier gibt es jede Menge Gelegenheit, durch Sport und körperliche Arbeit stark, aber auch müde zu werden. Das scheint genau die Art von verspieltem Land zu sein, das ich mir erhofft hatte. Man ist sehr sicherheitsbewusst mit Fahrradhelmen überall und auf den Fussgängerwegen sind Haie aufgemalt mit dem Spruch davor, dass man sich nicht in ein Haibecken begeben würde und daher auch nicht den Tod durch das Überqueren der Ampel bei Rot riskieren soll. Nach Indien kann ich sagen: putzig.

Ziemlich seltsam mutet mir hier die Weihnachtssache an. Die Bartletts haben einen Weihnachtsbaum, ungefähr so, wie man ihn von Amerika erwartet mit vielen Kugeln und Figuren, sehr ebenmässig und man sieht einen Riesenweihnachtsmann in der Stadt und hört Weihnachtslieder. Dabei ist es so warm, dass ich in Flipflops herumlaufe. Mit Weihnachten hat das für mich alles nichts zu tun und es wirkt ein wenig wie eine Farce für mich.

Ich habe meine Zeit in Buchhandlungen und der Auckland Art Gallery verbracht, wo ich Zeitgenossen zu sehen bekam. Es hat alles etwas von Weite und da ist viel Grün und Natur zu sehen. Kein Wunder bei der Umgebung. Alles ist hübsch und grün und behaglich und so sicher, dass man sich über Einbrecher keine Gedanken macht. Was das Wasser anlangt, wird Regenwasser aufgefangen und getrunken. Und ich bin einer meiner Lieblingsfremdlandbeschäftigungen nachgegangen: ich war im Supermarkt. Oh wie herrlich sind die vielen Dinge, die man hier finden kann: leckere Biomilch, viel Obst und Gemüse direkt aus der Gegend, frisch und prall und reif. Grosse, leckere Schokoladen. Ich hab mir Spargel mit Kartoffeln für die Hostelküche gegönnt- eine wirklich gute Wahl und billiger als daheim! Dem starken Euro verdanke ich einen moderaten Reichtum. Und überhaupt: die Reisezeit mit all den finanziellen Unsicherheiten ist gut. Die Preise sind nicht so hoch und ich hätte vermutlich in Deutschland momentan Probleme, einen guten Job zu finden. Ernte scheint immer zu gehen und meine Sitznachbarinnen im Hostel arbeiteten dort mit und mussten somit nix für die Unterkunft zahlen und eine von ihnen hat einen Barjob. Starbucks sucht Leute und andere Ketten wohl auch. Ich überlege, ob ich nicht „How Starbucks saved my life“ vorher lese. Und Greenpeace sucht Freiwillige gegen Bezahlung. Kosmetik hingegen mag ich nicht unbedingt an die Tussi bringen, das gäbs auch. Es scheint viele Chancen zu geben und die Leute, die die Jobs machen, scheinen sogar richtig Spass daran zu haben. Na denn.

Erbauliche Sprüche hab ich jedenfalls für die sicher noch folgenden Klippen gefunden: Shoot for the moon. Even if you miss, you'll land among the stars.

Und:
risk more than others think is safe
care more than others think is wise
dream more than others think is practical
expect more than others think is possible.
cadet maxim

Ich habe auch einen Dichter für mich entdeckt, der hier recht populär zu sein scheint. Sein Name ist Sam Hunt und ein neuer Gedichtband mit dem Titel „doubtless“ ist gerade herausgekommen. Kostprobe?

Oterei rivermouth

I get to think that God
is somewhere there between the rivermouth and sea

helplessly
with only a broad sky a bored dog and me
listening.

Und:

Talking of the weather

winter's got its teeth in
and it's going to get worse
a lot worse than this
before it gets better

before you come to, brother,
and find overnight a snowfall
lower than any local
today can recall

your dead grandmother
out on the verandah
cannot (rumour) remember
snow as low either

a lot worse than this
before it gets better
and we've not even started, brother,
talking of the weather.

Ich finde, der Mann transportiert einfach Stimmung.

Dienstag, 9. Dezember 2008

Fast wie daheim - oder ein bisschen besser?


Da war ich gerade dabei, mich von Indien zu verabschieden, als noch erstaunliche Dinge passierten. Rachana wollte mich in Delhi nochmals zum Dinner treffen und brachte zwei Freunde mit. Der Abend wurde sehr lustig im schon gewohnten vegetarischen Restaurant, wo ich mich mit der indischen Küche versöhnte. Einer der Freunde, der gekommen war, heisst Manish (man sieht uns auf dem Photo) und betreibt einen kleinen Ashram in Ramgar in Uttarakhand, wo ich es nicht mehr hin geschafft hatte. Er übernachtete ebenfalls im Sri Aurobindo Ashram und so ergab es sich, dass wir das Dach des Ashrams erklommen, durch die vom Dreck diesige Nacht vier ganze Sterne sahen und die Flugzeuge beobachteten, die über uns gen Flughafen bretterten. Dank Schlafsack und Thermarestmatte war die Nacht dort oben eine gemütliche Sache, zumal die Matte bequemer ist als die meisten indischen Betten, die eh nur aus einem Brett mit sehr dünner Auflage bestehen. An Schlaf war kaum zu denken, aber in Anbetracht des langen im Flugzeug Sitzens und der Tatsache, dass mich der Jetlag sowieso kriegen würde, war das auch egal. Und irgendwie sucht man doch genau nach solchen Begebenheiten auf einer solchen Reise.

Am Flughafen in der Früh hat sich Dalraj, ein SAP- Experte mit Turban (also ein Sikh) zu mir gesellt und nicht mehr von mir abgelassen. Das ging so weit, dass er Witzchen übers Heiraten machte und mich zu küssen versuchte, was ich ihm denn doch verwehren musste. Ich sei ja schon sehr indisch geworden, meinte er, wenn mir das Küssen in der Öffentlichkeit unangenehm sei. Ich glaube, er hat da was missverstanden. Auch mein Sitznachbar zeigte sich sehr interessiert und gab mir all seine Nummern und betonte sein Singledasein und dass er weder trinke noch rauche und jetzt auch Vegetarier sei. Er reist viel und die Chancen bestehen, dass er nach Deutschland kommt. Ich muss irgendein Anziehungspillchen in diesen beiden letzten Tagen ins Essen gemischt gekriegt haben, sowas aber auch! Ego polieren kann ja nun nicht schaden. Und ich verlasse ein Land mit vielen neuen Adressen, zu denen ich unbedingt mal kommen soll. Gastfreundschaft ist hier jedenfalls wirklich sehr gross geschrieben.

Im Flugzeug von Kuala Lumpur kam ich neben einer sehr netten irischen Dame zu sitzen, die in Neuseeland ihren Sohn besucht, der Manager einiger Restaurants ist. Sie hat mir gleich seine Karte gegeben, ich könne mich bei ihm melden, wenn ich einen Job suche. Sie hat mir von ihrem schwierigen Verhältnis zu ihrem Vater erzählt, das sich an seinem Lebensende innerhalb von drei Wochen vollständig verändert hat. Der strenge Mann, den sie so distanziert erlebt hat, er hat eine ganz andere Seite gezeigt und auf einmal konnte sie ihren Frieden mit ihm machen. Sie haben nie soviel gelacht und sich nie so gut verstanden wie in diesen drei Monaten seiner Krankheit und er ist mit einem Lächeln eingeschlafen. Ich war beeindruckt und ich werde ihren Sohn kontaktieren.

Auckland empfing mich mit Regen. Nein, das hat mir nichts ausgemacht, Regen ist gut, wenn man fünf Wochen immer gleiches Wetter hinter sich hat: diesiger Sonnenschein, ein Blick aus dem Fenster war nie nötig. Schon im Flugzeug gab es westliches Essen- Omelett und Würstchen, das mein Magen anstandslos zu sich nahm. Und in Auckland angekommen wurde ich freundlich aber bestimmt über meinen Aufenthalt hier befragt in einem Englisch, das ich problemlos verstehen kann und bei dem ich nicht ständig nachfragen muss. Eine meiner ersten Handlungen war, meinen Kaugummi in einen Papierkorb zu spucken, was mich mit wahrer Befriedigung erfüllte. In diesem herrlichen, sauberen Land gibt es sogar Mülltrennung und der Bankautomat fragt einen, ob man auch noch eine Bestätigung übers Geldabheben haben will, wenn man an die Umwelt denkt. Ich machte innerlich kleine Hüpfer, ging derart wohlgelaunt zu einem Infoschalter und wurde nach meinem Befinden gefragt. Ich glaube, sie wollte es wirklich wissen, auch weitere Menschen interessieren sich hier einfach für einen, ohne einem dabei auf den Nerv zu gehen, wie es in Indien geschieht. Von der netten Dame bekam ich ein günstiges Hotel vermittelt, das mit ca. 14 Euro pro Nacht zu Buche schlägt. Sie hat es mir deswegen angeboten, weil man hier auch gleich viele andere Sachen organisieren kann, die das Arbeiten und das Wwofen (willing workers on organic farms) betreffen. Die Infodame verkaufte mir auch gleich noch ein Busticket in die Stadt und einen Adapter für die Steckdosen hier. Ich stieg in einen sauberen Bus, ich sah keinen Müll auf den Strassen, die hübsch angelegt sind und fühlte mich gleich derart entspannt und glücklich. Auch ein kleiner Stadtspaziergang und 3 Mädels aus England, die vor dem Studium eine Weltreise machen und nette Zimmergesellschaft waren, machten mich einfach nur glücklich. Und da ist die saubere Dusche mit dem warmen Wasser, da ist Klopapier, es funktioniert einfach alles. Von Deutschland aus hätte ich all das sicher nicht so schätzen können. Und die vielen Möglichkeiten: Kino, Aquarium, Bungyjumping, Surfen. Ein Stündchen im Buchladen mit Bildbänden über Neuseeland hat mich dann noch restlos überzeugt: es ist wunderbar hier und ich werde phantastische Natur sehen und vermutlich einfach nur glücklich sein. Nach zwölf Stunden Schlaf werde ich ein Konto eröffnen, mein soeben erworbenes Buch für meinen Aufenthalt auf Biofarmen durchgehen und mich gleich bei Familien melden und sonst einfach nur geniessen. Meine neue Handynummer habe ich auch schon erhalten und freue mich auf Anrufe und SMS: 0064-21686800. Ein entwickeltes Land mit einer verständlichen Sprache und all den kleinen Dingen, die man zu schnell für zu selbstverständlich erachtet (dauernd Strom, das Internet funktioniert einfach) aaaaaaah- ein Traum!

Sonntag, 7. Dezember 2008

Zwischensummen bilden




Mit lockeren fuenf Stunden Verspaetung kam ich heute aus Varanasi im mittlerweile vertrauten Delhi an. Erst war da gar kein Zug, dann war ich im Falschen, weil sich das Gleis geaendert hatte wie eigentlich immer und dann war ich am falschen Ende. Irgendwie klappt aber dann doch immer alles und auch die tollkuehnen Motorradfahrten mit dem lieben Anurag konnte ich irgendwann sogar geniessen. Die Verspaetung des Zugs hat nur meinen direkten Liege-Nachbarn gestoert, der manchmal als Geschaeftsreisender ein bisschen drueber gegrummelt hat. Ich hab ihm von den Deutschen erzaehlt, die immer ueber die hervorragend funktionierende Bahn schimpfen und er meinte, ich sollte die paar Hanseln nur mal nach Indien schicken, da koennten sie viel lernen. Und oh, wie recht er hat! Ich hatte eine herrliche Zeit mit ihm. Manchmal passiert das, eigentlich gar nicht so selten und nun eben in Indien: Ich hab ihn gesehen und wir haben uns sofort bestens verstanden, wenn ich auch immer noch Probleme mit der Aussprache der Inder habe. Er ist seit einer Woche auf Geschaeftsreise unterwegs und ein sehr verschmitzter Typ. Mit ihm fuehlte ich mich gleich recht vertraut und lustig und ich dachte mir, dass es dann doch wieder gar keine so grossen Unterschiede zwischen Deutschland und Indien und damit wohl dem Rest der Welt fuer mich gibt: mit manchen Leuten versteht man sich blendend ohne grosse Worte verlieren zu muessen. Eine Binsenweisheit, so direkt erlebt aber eine Offenbarung. Ich hoffe und glaube, die ganze Reise wird mich den Menschen naeher bringen. Und dann muss ich sie immer wieder verlassen und bin freilich furchtbar traurig darueber. Life in a nutshell!

Auch Rachanas Mutter hat mich noch sehr geruehrt, als sie sagte, es sei schoen, wenn Leute kaemen und immer furchtbar traurig, wenn sie gingen und ich ginge als Familienmitglied. Diese Frau hat mich sehr beeindruckt mit ihrer Guete und Klarheit nicht nur den Schuelern gegenueber. Ueberhaupt hab ich den Eindruck in so viel menschliche Groesse wie die Familie zeigt, muss ich noch ordentlich reinwachsen. Die Kinder kamen noch, um sich Autogramme abzuholen und sagten wie toll doch meine sogenannten Unterrichtsstunden waren, in denen ich zum Vergleich indischen Verkehr (Autorikshas, Fahrraeder, Autos, Fussgaenger in allen Richtungen und dazwischen eine Kuh, ein paar Hunde eine Ziege, wobei eine auch noch auf dem Motorrad mit vier Menschen mitfahren darf) und deutschen Verkehr mit Richtung und Tempo an die Tafel malte und mich fragen liess, ob ich denn nie einen Sari trage und ob mich meine Eltern nicht bald verheiraten. Ins Schwitzen kam ich als ich as politische System Deutschlands mit dem Indiens vergleichen sollte und gefragt wurde, welche Art von Industrie welchen Anteil hat und wer mein deutscher Lieblingsfussballer ist. Meine Unwissenheit hat meinem Status als Filmstar jedenfalls wohl keinen Abbruch getan und ich hatte meinen Spass, auch als ich mit den Maedchen der Schule einen Tanz zum grossen Basketballmatch heute einstudierte, was meinerseits ein hoffnungsloses Gewedel und Gehuepfe war. Trotzdem freue ich mich auch sehr darauf wieder in der gewohnten Unbeachtetheit als eine von vielen Weissen in Neuseeland zu versinken. Morgen gehts dorthin los und ich freue mich schon ueberschwaenglich darauf.

Indien werde ich vermissen. Die Farben, viele liebe Menschen, vermutlich sogar meinen Starstatus und einiges vom Essen hier. Ich nehme meine Yogauebungen mit, ein klitzekleines Bisschen Selbsterkenntnis und viele Bilder. Mich hab ich wie immer dabei gehabt, mein Selbermachenwollen, meinen nahezu unerschuetterlichen Humor und die Moeglichkeit mit vielen tollen Leuten in Kontakt zu kommen. Ich wuerde sagen : aus meiner Sicht ist die Indienmission bestimmt erfuellt.

Samstag, 6. Dezember 2008

Angelabert von vielen, vielen Indern, lange zwei Stunden und drei Internetcafes und viele Systemabstuerze spaeter streiche ich die Segel. Meine wunderbaren Photos kriegt ihr morgen, in Delhi. Und meinen mindestens genauso herrlichen Text auch. Der Nikolaus darf ihn Euch heute ueber Nacht bringen, wenn ihn mir nicht die vier Inder vom Bildschirm gucken, die mir wieder mal gebannt zuschauen. Froher Nikolaus von einer schwitzenden Andrea aus einem chaotischen, warmen, aber auch freundlichen Land - man muss es nur zu schaetzen wissen ;).

Donnerstag, 4. Dezember 2008

Verbrennen duerfen in drei Stunden






Varanasi- der Ort, an den viele Hindus zum Sterben kommen, um verbrannt zu werden. Sortiert nach Kasten, die Brahmin ganz oben, die niederen Kasten ganz unten, direkt am Ganges. 24 Stunden am Tag werden tote Körper auf Tragen zum Ganges gebracht, eingetaucht, in der Sonne getrocknet und dann mit 200 kg Holz für drei Stunden verbrannt. Ein Kilo kostet je nach Holzqualitaet ab 150 Rupees, hat man mir gesagt, das sind 2,40 Euro, also ein Haufen Geld hier. Alle legen zusammen, um die Bestattung finanzieren zu können, für die ganz Armen wird gesammelt, auch ich habe heute ein paar Scheitel beigetragen. Mit dem Boot fuhr ich mit meinem staendigen Begleiter Jackma auf dem Ganges auf und ab und wir stiegen an einer der beiden Verbrennungsstellen aus und schauten den Bestattungen zu, es waren einige Feuer am Brennen. Ich fand das sehr interessant und hatte keine Probleme damit, zuzuschauen, aber die Bilder werden mir sicher ein Leben lang bleiben. Auch der Umgang mit dem Tod wie mit allem anderen ist hier sehr offen. Direkt daneben springen Buben wonnig in den Ganges, schrubben massive Ochsen ab, die dort genussvoll planschen und auch tote Tiere schwimmen manchmal im Wasser. Dazwischen laufen die Kühe und es liegen und sitzen viele Menschen am Ufer, wo Kinder mit Drachen ihre wahre Freude haben oder eine schiefe Ebene hinunterrutschen. Andere beten oder meditieren, waschen ihre Wäsche, kochen oder fischen. Das ganze Leben auf engem Raum.

Ich habe mich als typische Andrea oder vielleicht sogar als typische Westlerin erlebt: ich wollte das Boot heute selbst rudern und selbst Riksha fahren. Beides ist wirklich harte Arbeit, schwerer als erwartet. Vor allem die Riksha lässt sich kaum lenken und die Fahrer sind eigentlich alle sehr drahtig. Jackma begleitete mich den ganzen Tag und ich merkte, ich bin es wirklich gewohnt, mich um mich selbst zu kümmern und zu organisieren. Er ist wirklich sehr nett, versteht allerdings mein Englisch fast nicht und kümmert sich wirklich um alles. Wo ich doch so gerne auf mich selbst aufpasse.

Am Ende konnte ich ihm über einen Anruf bei Anurag deutlich machen, dass ich für mein Kässpatzenprojekt noch Käse aus einem größeren Laden bzw. Supermarkt brauche. Die Spaten waren nicht ganz so locker wie bei Oma, aber doch erstaunlich gut für meine indischen Gegebenheiten und ich war ganz zufrieden. Ich glaube, meine Familie mochte sie auch. Mein Kochen wurde von sechs Buben begleitet, die hier in die Schule gehen und unbedingt irgendwas mit Wirtschaft und Geld machen wollen und vor allem mal mit einer Westlerin sprechen wollten, der ersten westlichen Person mit der sie je geredet haben. Ich kann mir hier wirklich mittlerweile ein bisschen besser vorstellen, wie sich ein Filmstar fühlen muss: immer Gekicher, Getuschel, grosse Neugier, manche kommen und wollen mir die Hand geben oder wissen, wie ich heisse und wo ich her bin. Ein wahres Faszinosum.

Mittwoch, 3. Dezember 2008

Westliche Ruhe in Sarnath

Man hasst oder man liebt Indien und manche tun beides im Wechsel, heisst es. Es gibt eine Sache, die ich wirklich hasse hier. Zum dritten Mal macht mir mein Magen ernstlich zu schaffen, obwohl ich mich brav an alle Regeln halte: ich esse vegetarisch, ich esse keine schrägen Western style Sachen, ich esse gekochte Sachen, viel Reis, Chapati. Und trotzdem hat es mich zum dritten Mal einen Tag lahm gelegt, was die langen Nachtzugfahrten auch nur zu einer bedingten Freude macht. Aber nun ja, ich scheine mit meinen fünf Wochen Indien schliesslich vor allem einen Kurs in Ruhe und Gleichmut gebucht zu haben. Diese Dinge kommen und gehen und sind nun auch fast überstanden.

Zum Glück habe ich in Varanasi den perfekten Platz gefunden, um ein wenig kränklich zu sein. Rachanas Familie hat mich sofort wie eine Tochter aufgenommen. Das ist nun schon das dritte Mal, dass ich adoptiert werde. Es ist wundervoll, wie sich die Leute um mich kümmern, beginnend mit den Quakern, Kavita, Lorna und Karl und nun mit Rachana und Familie. Hier ist auch Rachanas Nichte, die elfjährige Sandra. Sie ist sehr gesprächig und spricht ein ausgezeichnetes Englisch. Rachanas Bruder Anurag holte mich auf seinem Motorrad vom Bahnhof vom dreieinhalb Stunden verspäteten guter Dinge vom Zug ab. Mit meinem großem Rucksack auf meinem Rücken, der kleine vor ihm düsten wir mit dem Gefährt ohne Tacho und Helm munter über lustige Schlaglöcher zwischen Kühen, Fussgängern, Bussen und Rickshaws und am Ende gar einer mit Blumen geschmückten Leiche. Aber er ist der Typ, der einen das als ganz unproblematisch und sicher erleben lässt und ich habe mich vor allem amüsiert. Rachanas Mutter arbeitet ich glaube als Direktorin für eine Schule mit 300 Kindern. Sie sagt, ihr Chef sei etwas unzufrieden mit ihr, weil sie zu wenig durchgreift und lieber Sanftmut regieren lässt. Überhaupt ist sie eine sehr liebevolle Person, die mich nach meinen Essensvorlieben befragt und mich gleich am ersten Abend in den Arm nahm, um mir eine gute Nacht zu wünschen. Rachanas Vater arbeitet als Redakteur für mehrere hiesige Zeitungen und kommt abends spät heim. Die Kinder fragen sie, ob sie nicht zu ihnen ziehen möchten, aber sie möchten lieber nützlich sein, der Gesellschaft dienen. Sie sind sehr gebildet und sehr liebenswürdig und leben ohne jeden Schnickschnack. Ich glaube, sie sind sehr glücklich.

Heute war ich in Sarnath, einem Dorf zehn Kilometer von Varanasi entfernt. Mir wurde ein Student zur Seite gestellt, Jackma, den Anurag, Rachanas Bruder kennt. Oh, wie wunderbar war es am Ort von Buddhas Erleuchtung! Man konnte sich in einen Park setzen, für eine volle halbe Stunde und niemand wollte was von uns. Kein Amärmelreissen von armen Bettlerkindern, keine wildgewordenen Händler- come and look!- und keine Blumen, die ich irgendeinem Gott gegen Bezahlung opfern sollte. Ruhige, freundlich dreinblickende und meditierende Mönche, ein kleiner Zoo mit freilaufenden Streifenhörnchen, riesigen Vögeln, Hirschen, Kaninchen, Krokodilen und Schildkröten und Tempeln mit meditierenden goldenen Buddhas. Und das allererstaunlichste: es gab sogar Abfalleimer an diesem wundersamen Ort und am Ende fuhr Jackma mit mir gar in eine Shoppingmall. Nicht, dass ich sowas irgendwann vermisst hätte, aber es wirkte doch alles sehr westlich-beruhigend. Und es soll hier sogar Supermärkte geben, hiess es. Wenn das stimmt und es dort auch wirklich Käse gibt, werde ich für die Familie Kässpatzen machen! Ansonsten habe ich echte Probleme, ein passendes Geschenk zu finden. Hm.

Im Zug hierher traf ich einen Australier, Daniel, der für zwölf Monate eine grosse Weltreise macht. Ich fragte ihn, wie er das finanziert. Er meinte, das sei ganz üblich in Australien, dass man mal ein Jahr Auszeit nähme und mit dem Plan im Kopf realisiert man es einfach und beschliesst auch, dass nichts Schlimmes passieren wird und dann wird auch alles gut. Diese Erfahrung teile ich: wenn man erst einmal den Entschluss gefasst hat, geht sehr vieles sehr viel leichter. Schon nach einem Monat merke ich, wie viel Sicherheit mir all das gibt. Ich glaube, man sollte einfach tun, was einem die Intuition sagt. Und wenn sie einen in die weite Welt schickt, wird das schon seinen guten Grund haben.

Ich habe sehr viele sehr liebe Menschen kennengelernt, viel Hilfe erfahren, Spass gehabt und Gelassenheit gestärkt. Mir bleibt vor allem die Fragen, die mir hier auch gestellt wurden: warum sind so viele Leute im reichen und sicheren Deutschland so unglücklich? Wovor haben wir soviel Angst? Warum sprechen die Leute nicht mehr miteinander und vereinsamen so oft?