Montag, 20. April 2009

Frostelich, aber nur wettermaessig





Jetzt wird es schon richtig kalt hier. In der Früh ist alles mit Reif überzogen und die Äpfel sind eiskalt, wenn wir sie dann doch um frühestens neun oder zehn pflücken dürfen, so dass ich weisse Arbeitshandschuhe aus dem omnipräsenten Allesdandler „the warehouse“ trage. Gelbe Blätter fallen von den Bäumen und es ist wirklich herbstlich geworden, so dass wir brav unser Feuerchen in unserem Cardboardhäuschen anzünden und uns zusammenkuscheln, wenn wir nicht gerade um Kleinigkeiten wie das rechte Käsereiben kabbeln. Meine Hände sind täglich voller kleiner schwarzer Dörnchen, die ich mit der Nadel herausziehe und die Zeigefinger rissig und rau. Arbeiterhände sind das geworden. Ich weiss genau, wann das Wetter wie war und bin fast wie ein Farmer abhängig von den natürlichen Gegebenheiten. Wenn die Jugend über die Bande schlägt mit Drogen, Alkohol und Bandenkriegen und den Respekt vor allem und jeden verliert, solle man sie raus aufs Land schicken, der Natur ausgesetzt, meint Jay Griffith in ihrem „Wild“ und ich glaube es ihr. Das tägliche Draussensein verändert den Charakter und macht ein bisschen ehrfürchtig.

Aber weder der Bellbird, der uns mit seinem nananana! Gepfeife aufzuziehen scheint, noch der Fantail, der uns aus der Nähe mit einem Pfeifvortrag mit schiefgelegtem Kopf über korrektes Pflücken belehrt, lassen sich von der Kälte irritieren. Langsam gehen uns auch die Äpfel aus. Nach einem zweiten Fuji-Pick (japanische Äpfel, die mit einer Ananas gekreuzt wurden und tatsächlich auch so schmecken) und einer weiteren Runde Braeburn, sind wir nun an grossen roten Pacific Roses. Leckere Äpfel, die sich auch gut pflücken lassen und hier sehr beliebt sein sollen, nur leicht verkratzen sollen. Dann erwarten uns noch die Granny Smiths, die auch leicht braune Druckstellen kriegen. Mit verschiedenen Taktiken heitern wir unseren Tag auf: kleine Raufereien und Apfelwerfen aus dem Hinterhalt, über die Bäume gebrüllte Unterhaltungen und vor allem die beliebten Wettkämpfe- wie schnell können wir unsern Bin füllen, wer füllt seinen schneller, wer ist öfter und schneller auf der Leiter? Manchmal packt mich dann am Nachmittag ein zweiter Schwung und wenn Leo schon heimgegangen ist, pflücke ich noch einen Rekordbin mit Musik, lautem Mitjohlen, geistig meilenweit entfernt von den Äpfeln, fast ein bisschen in Trance. Leider büsst meine Lauferei dann und ich habe das Gefühl, fett und unfit zu werden. Jetzt ist die Zeit, Geld zu scheffeln, fit werden hat danach wieder Priorität.

Leo konnte ich davon überzeugen, dass es ganz gut für uns ist, vegetarisch zu leben. Ausgeschmückt freilich mit frisch gefangenem Lachs und Forelle, die Glen und Sascha mit schöner Regelmässigkeit vorbei bringen. Leo verarbeitet den Fisch zu fishcake, was man wohl mit Fischküchlein übersetzen könnte und bäckt Muffins, was ihm wiederum hie und ein wenig selbstgepflanztes und geerntetes Gras einbringt. Der Naturalienhandel läuft rege, momentan warten wir auf eine Lieferung geräuchterten Fischs von Earl, der ebenfalls mal Koch war und hier vom Land, seinen Hasen und Fischen so gut lebt, dass er mit seiner Katze Missy mit zehn Dollar Lebensmittel wöchentlich auskommt.

Mittlerweile sind wir acht Deutsche hier und hatten gar einen kleinen deutschen Partyabend, der um halb zehn natürlich sein züchtiges Pflückerende fand. Die anderen Deutschen reisen für längere Zeit und kommen aus Berufen wie dem strategischen Einkauf, eine Industriekauffrau, eine Architektin, eine Photographin und ein Mediendesigner und ein Landschaftsgärtner. Mark, der Mann aus dem Einkauf, interessiert sich für Philosophie, vor allem die Frage, ob wir Dinge so wahrnehmen können, wie sie sind oder ob wir immer mit so etwas wie einer Schablone durch die Welt laufen und sie den Dingen und Menschen aufpressen. Er hatte Frau und Haus und Auto und diesen Karrierejob. Er hatte das Gefühl, da schnell reingekommen zu sein und immer mehr gewollt zu haben. Mehr Geld, eine Beförderung, aber das Reisen war weiter im Hinterkopf und irgendwann gings nicht mehr anders und er liess sich scheiden und verkaufte, was er hatte. Nun sitzt er hier, viel zufriedener mit neuer Freundin und liest „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Arbeiten könne man ja immer, meinte er, aber zurück wolle er jetzt sicher nicht. Oft treffe ich Reisende, denen es ähnlich geht, die sich in ihrem Büroalltag eingesperrt und nicht zugehörig gefühlt haben und denen die Äpfel hier lieber sind als ihre Anzüge, Computer und Meetings. Die Verpflichtungen hier sind kurzfristig und konkret. Jochen und Alex pflücken, um nach Asien reisen zu können und ich tue es, um hier weiterreisen zu können und mein Skifahren zu finanzieren und nach Australien fliegen zu können. Und zwischendrin wechselt man die Ausrüstung den Jahreszeiten entsprechend und arbeitet für ein paar Schuhe und einen neuen Schlafsack. Ein Schlafsack kostet vier Bins und die Kosten für eine Woche Miete und essen sind mit drei Bins abgedeckt. Es ist nie ein Aufhäufen und es ist keine Orientierung in eine ferne Zukunft. Trotzdem ertappe ich mich bei der Frage, wo ich wohl in zehn Jahren stehen werde. Und manchmal denke ich, dass mich eine halbwegs sichere Antwort wie die vermutlich immer noch in einer bestimmten Abteilung in einem bestimmten Bereich zu arbeiten mehr ängstigen würde als keine Antwort und das Gefühl, nicht festgelegt zu sein. Was aber immer da ist bei all meinen Gedanken über mein bisheriges Leben, ist eine grosse Dankbarkeit. Für die Ausbildung, meine Schulzeit und die Uni, für all die Leute, mit denen ich befreundet und bekannt bin, für die vielen Geschichten, die man mit mir geteilt hat, für die Orte, zu denen ich reisen durfte. Und ich stelle fest, dass ich mit all dem doch ein glücklicher Mensch bin.

In zwei Wochen wird’s vorbei sein mit Pflücken. Das waren dann fast zehn Wochen pflücken, die bis jetzt sehr gut vergangen sind und mit einem grossen Barbecue abgeschlossen werden sollen, wie man uns erzählt hat. Eine weitere Gemeinschaft, die ich Wahlzigeuner verlassen werde müssen. Wir könnten weiter Saisonarbeit machen und Kiwis pflücken oder Weinstöcke beschneiden, hat man uns erzählt. Wir sind noch nicht recht entschlossen. Mein Ziel ist sicher skifahren, davor noch die Gegend erwandern und am besten wwoofen. Das Schlafen im Auto könnte ein wenig frisch werden. Wir werden sehen.

Wie wird es sein, mit Leo zu reisen und nicht nur zu arbeiten? Wir mögen uns sehr und verstehen uns manchmal mit einem Blick. Ein Faktor, der besonders nützlich zu sein scheint ist, dass wir beide das Alleinesein lange geübt und schätzen gelernt haben. Ich lasse ihn in der Küche pusseln und er mich lesen und laufen und mit anderen Leuten plaudern und „aufzünden“. Trotz aller Toleranz habe ich manchmal meine Zweifel, weil wir doch so unterschiedlich sind. Er eher ruhig und ich nicht ganz unauffällig und ich oft versunken in Gedanken an die Philosophie, mit Fragen nach Metaphysik und Logik, die ihm sehr fremd sind. Er findet das nicht schlimm und freut sich, wenn ich ihm alles mögliche beibringe und findet es gut, wenn ich ihm mit Argumenten auseinandersetze, was ich denke und womit ich so meine Probleme habe. Und ich übe meine Geduld, wenn er meine Fragen nicht recht versteht und so viele Dinge nicht unterscheidet. Wir haben uns nun entschieden, einstweilen zusammenzusein und vielleicht klappt das auch für länger. Wir gehen nicht nur finanziell kleine Schrittchen, sondern können das auch als Paar tun.

Samstag, 18. April 2009

Die Anderen






Hilfe- feindliche Subjekte in unserer happy family hier! Wir haben sie gesehen und der Start unserer zarten Beziehungen wies sehr richtig in die Zukunft. Simon und Sarah sind beide Köche und sollten die Franzosen ersetzen, die hier gepflückt haben und die sich nun mit Eisäxten gen Mount Cook aufgemacht haben. (Man rechnet mit zwanzig Stunden Fussmarsch, ich habe sie aber kein einziges Mal joggend oder anderweitig ihre Kondition trainieren sehen. Wenn die Zeitungen nicht von ihnen berichten, ist das vermutlich ein weiteres Indiz für ihre masslose Schlechtigkeit.) Simon und Sarah lernte ich kennen, als ich sie fröhlich in der Früh begrüsste und mich vorstellte. Da kam dann gleich ein böser Blick und ein Seufzen, mein Vorname sei zu schwierig. Ich konterte damit, dass wir hier eine ganze Sprache lernen müssen, da wär doch für ihn ein Wort nicht zu viel verlangt. Seltsam, dass er es nach diesem kleinen Kommentar auch wirklich tadellos herausbrachte. Phil, ein weiterer Kiwi, der Fernsehjournalismus studiert hat und Geld fürs Reisen in die UK erpflückt, stiess auf die beiden (mit einem Blick, wie Phil berichtet, der verhiess: Wen kann ich als erstes mit meinem Maschinengewehr über den Haufen schiessen?) und die erste Frage von Simon war, was Phil denn danach machen würde, he? Ob er dann arbeitslos sei oder was, he? Die Freude uferte dann ganz aus, als sie ihre Bäume alle unten pflückten und die schwierig mit der Leiter zu erklimmenden Spitzen uns lassen wollten. „Tut uns Leid, Ihr könnt ja nun in unserer Reihe weiterarbeiten, wir gehen woanders hin.“ Das gab eine Ermahnung von Peter und den nahezu sicheren Hass der ganzen Crew, die sie nun argwöhnisch betrachtet, wenn Sarah wieder in ihren feinen hochhackigen Schühchen mit ihrem Miniröckchen zwischen uns in unseren Dreckklamotten über die Wiese wackelt. All das ist für mich als Sozialstudie ausgesprochen spannend. Wir sind ca. 25 Leute, klar, jeder hat seine Eigenheiten und Macken, aber man spielt so fair wie nur irgend möglich. Da wird den anderen geholfen, ein freundlicher Kommentar gemacht, die Fischer unter uns versorgen die anderen mit Lachs und Forelle, die Bäcker mit Keksen und Muffins und wieder andere geben was von ihren (natürlich selbst heimlich angebauten) Weedvorräten ab. Und Peter hat uns gar Schokoladenosterhasen geschenkt. So fühlt sich jeder entspannt und integriert und selbst die Schüchternen reden mittlerweile. Der Job ist anstrengend genug. Wenn man neu in so eine Gruppe kommt und sich zu mehreren dreist und dumm verhält, haben die anderen einen gemeinsamen Feind. Das schweisst zusammen und ist im Grunde heiter. Wenn man nicht auf der anderen Seite steht...

So, hätten wir wieder einiges geschafft. Lange bin ich Leo nachgelaufen mit der Bitte, doch einen Lebenslauf zusammenzuschreiben, der nicht nur reine Phantasie ist. Eiligst haben wir dann das Endprodukt an Ski NZ verschickt. Ich habe mich als Sprachübersetzer, im Skiverleih und als Lifthansel beworben und er sich als Koch. Bewerben scheint man hier sehr locker zu nehmen, auch wenn die Homepages doch nach einem ordentlichen Anschreiben und Lebenslauf und dem Visum verlangten. Ich bin gespannt, was passiert. Wenn das nichts mit dem Job wird, wird sich vermutlich was anderes ergeben und ich kann schliesslich auch ohne Job skifahren gehen und anders Geld verdienen. Momentan lacht die Kasse, mein deutsches Konto hat noch einiges aufzuweisen und mein neuseeländisches Konto ist über tausend Dollar geklettert. Ich habe mir ausgerechnet, dass ich bis jetzt inklusive tausend Euro Flüge mit gut 4000 Euro seit November klargekommen bin. Und ich dachte immer, das Reisen sei so teuer. Schlau angestellt sieht man viel und zahlt wenig. Ich bin begeistert!

Manchmal überkommt mich nun die Nostalgie und als mir am Dienstag auffiel, dass meine Studienzeiten vermutlich meine schönsten Zeiten bis jetzt waren, entfleuchten mir ein paar Tränchen im Braeburnjungle. Das Reisen ist schon auch sehr wunderbar, aber auf längere Zeit gesehen waren die Freunde und die Uni formidabel. Momentan gehen mir die Diskussionen ab, mit der Suche nach den genauen, fein geschliffenen Bedeutungen der Worte. Hier wird mit viel „bloody hell“, „cheeeeeee.....!“(wohl für „jesus!“) und „holy shit, man“ Bewunderung ausgedrückt und auf Präzisierungsfragen und Fragen nach einem Beispiel kriege ich oft die Antwort „I can't be bothered! Why do you always have to complicate things?“). Ohne meine Bücher hier würde ich Zufriedenheit einbüssen. Vorsichtig gesprochen. So grabe ich mich durch Emily Brontes „Wuthering Heights“, Shakespeares „King Lear“, eine Patricia Highsmith „Strangers on a Train“ und Michael King's „Penguin History of New Zealand“. Mein Liebling ist aber Palle Yourgraus „A World Without Time. The Forgotten Legacy between Einstein und Gödel“. Da erzählt mir dann ein Physiker, dass Gödel sehr wohl als Philosoph ernstgenommen gehört.

Auch meine langen Denkphasen beim Pflücken unterbreche ich nun. Die anderen Deutschen, Jochen und Alex, haben eine herrliche Sammlung mit „Drei Fragezeichen“ - und „Hitchcock“- Hörspielen für meinen MP3-Player. Die Erkenntnis, dass ich ohne Denkstoff nicht lange glücklich bin, ist jedenfalls keine neue, wird hier aber besonders intensiv erlebt.

Am Ostersonntag sind Leo und ich tatsächlich mit unseren vierzehn Bällen und zwei Schlägern zum Golfen aufgebrochen. Für zwanzig Dollar hat man dort die Möglichkeit, den Schläger mit Schwung in den feinen Rasen zu rammen. Leo tat das mit einer gewissen Lehrerpose und ich wälzte mich am Boden vor Lachen, als der schulbuchhaft gedachte Abschlag nun wirklich nicht gelingen wollte und ich meinte, ich müsste mir dann das Golfen wohl selbst beibringen. Ich fand es eine wirklich wunderbare Beschäftigung, dem kleinen Ball nachzujagen und hielt mich auch gar nicht schlecht. Natürlich spritzte viel Gras und Dreck in die Luft und Leo verschoss vier Bälle. Vor allem als wir den Ball über eine sicher zwanzig Meter tiefe und ebenso lange Schlucht fetzen sollten, hatte ich meine Zweifel. Zu Unrecht. Der Ball prallte zwar an einer Pinie ab, war aber immer noch gut sicht- und schlagbar. Allerdings kann ich diesen Sport bis jetzt nicht ernst nehmen und weiss wirklich nicht, warum man darum ein solches Gewese macht. Minigolf in gross, Vergnügen für jung und alt, und basta!

Am Ostermontag hatten wir auch frei und ich konnte mein Glück, zwei freie Tage am Stück zu haben, gar nicht fassen. Kann mich gar nicht erinnern, wann ich das das letzte Mal hatte! Ich dachte mir, ich powere mich ordentlich mit einem 45-min- Vorfrühstückslauf aus und war schon ein wenig geknickt über meine schwindende Kondition und lass es dann dabei bewenden und geniesse die letzten sommerlichen Tage mit einem Buch auf der Terrasse. Aber nein, um elf kamen dann Phil und Glen, ein anderer Kiwi, an und meinten, wir könnten doch den Gipfel gegenüber besteigen. Das hat meinen Ehrgeiz angestachelt und Leo braucht auch ein wenig Lauftraining. So machten wir uns also zu einer fünfeinhalbstündigen, durchaus nicht flachen Wanderung auf. Auf dem Gipfel war Schnee, es zog ein frostig Wind vorbei und ich wollte im Grunde nur heim, hab mich aber natürlich hochgekämpft.. Im Aufgeben bin ich ja nun nicht besonders gut. Leo machte vorher Rast auf einem Felsen und liess sich von einem neugierigen Fantail, einem hiesigen Vogel beschwatzen. Unser Start (bzw. meine Rückkehr) in ein bewegteres und gesünderes Leben ist getan. Wir essen nun vegetarisch und gucken, dass wir (wieder) fit und schlank werden.

Der Fantail übrigens ist ein wirklich heiteres Vögelchen. Wirklich sehr, sehr neugierig, sehr hübsch, schwarz- weiss, ein bisschen grösser als ein Spatz und schlanker, kommt er beim Pflücken angeflogen, setzt sich einen Meter von einem entfernt auf einen Ast und zwitschert einen langen und überaus ernsten Vortrag aller Vermutung nach des Inhalts, dass dieser spezifische Baum hier nicht zu pflücken sei. Bis jetzt haben wir uns allerdings weder von seinem autoritären Auftreten noch von seinen Argumenten überzeugen lassen. Ein weiterer grosser Liebling ist das Insekt Praymentis (Gottesanbeterin??), ich hoffe, man schreibt es so. Es handelt sich um diesen grünen Hüpfer, der auch fliegen kann und sich hoch auf den Apfelbäumen aufhält. Ich hab Euch schon ein Photo gepostet. Er hat sechs Beine und hält die langen Vorderbeine in die Luft als würde er beten. Er hat ein sehr hübsches Gesicht und guckt einen neugierig an. Ich nehme mir immer die Zeit, die Tiere zu beobachten oder den Wind in den gigantischen Weiden, die locker dreimal so hoch sind wie das Packhaus neben. Ich glaube, ich habe noch nie so hohe und beeindruckende Bäume gesehen. Wenn die Wolken über die Berge ziehen und die Sonne durchscheint, der Wind vorbeiweht und ein paar Tropfen fallen, dann fällt mir schon auf, wie sehr eins man doch mit der Natur sein kann. Ohne dass sie es oft wissen, macht das die Menschen hier wohl zufrieden. Ich weiss, ich werde auch an diese Zeit einmal wehmütig zurückdenken.

Samstag, 11. April 2009

Apfelostern




Frohe Apfelostergrüsse Euch allen!

Wir werden ein bisschen Ostern feiern mit Bunnygesichtkeksen, die ich gestern noch schnell verbrannt habe. Ich hab schon mit viel Freude ein paar an meine Familie hier verschenkt. Leo hat das Konzept mit dem Hasenverstecken noch nicht ganz raus und meinte im Supermarkt, wir könnten ja ein paar Schokoladenostereier kaufen. Er wird seinen Lindthasen mit rotem Schleifchen schön zwischen den Äpfeln suchen müssen, während unser Chef seinen Hasenkeks einfach so kriegt. Osterfrühstück wird’s aber schon geben, mit selbstgemachtem Zopf!

Ich stelle wieder einmal fest, wie wichtig es mir ist, einen guten Chef zu haben. Peter ist fair, humorig, geradlinig. Er erklärt uns, warum wir genau welche Äpfel pflücken sollen. Und er gibt uns zwar hie und da Reihen, die wirklich kein Vergnügen sind, die nächste Reihe danach ist dann aber wieder eine reine Freude. Naja, in Pflückermassstäben gesehen. Auch die Preise für die Kisten sind so ausgelegt, dass jeder die gleichen Chancen hat, Geld zu verdienen. Und man hat seine Freiheit in der Zeiteinteilung. Arbeitet man wie besessen, schnell und lange, verdient man automatisch mehr. Das verkneifen wir uns. Wir arbeiten konstant, aber wir haben ein Mittagspicknick und wollen auch noch was vom Abend haben. Peter will Qualität, das hindert ihn aber nicht, freundlich zu sein. Ich fühle mich an die Unizeiten erinnert, wo ich mit Hans Rott einen wunderbaren Chef hatte. Und ich sehe den Kontrast danach mit einer gewissen Person, die als Chef an Furchtbarlichkeiten wirklich wenig ausgelassen hat.

Ich habe immer noch viel Zeit zum Denken. Sechs Wochen Äpfel und ein ganzes Leben durchzukauen. Ich entwickle sogar sowas wie Heimweh. Ich vermisse einige meiner Leser in ganz live, Spieleabende, gute Buchläden mit der Möglichkeit, Bücher bis zum nächsten Werktag zu bestellen, ich vermisse ordentliche Museen, Bibliotheken, meine Skier, mein Rennrad, ordentliches Recycling, eine gute Passion in einer eisigen Kirche, gut verfügbares, schnelles Internet, Zeitungen, die über mehr als die erschreckende Rauferei im Nachbarpub berichten und oh Wunder, sogar das Fernsehen, das es wert ist, irgendwann mal reinzuschauen. Vor allem, wenn die Supernanny, Rach, der Restauranttester und der tolle Kriminaldauerdienst und der Der letzte Zeuge kommen. Mein Englisch aber kommt langsam dahin, dass ich auch schlagfertig sein kann und besonders hochgestochen reden kann, wenn mir danach ist. Es holt sozusagen zu meinem Sinn für Humor auf, der ja das einzige ist, was ich wirklich ernst nehme, wie Leo schon bemerkt hat.

Ich denke aber auch darüber nach, was ich nicht vermisse. Es ist dieses unfassbare Streben nach Sicherheit, das ich oft empfunden habe und das die Zufriedenheit mit dem, was gerade ist und was man geniessen kann, so oft zu ersticken scheint. Ich habe das Gefühl, dass sowohl hier als auch in Indien viele Leute viel mehr im Moment leben. Sie arbeiten, um sich jetzt durchzubringen. Unser Mitbewohner Don z.B. arbeitet, um mit seiner Frau wieder in den Norden NZs heimfahren zu können. Sie wissen nicht, was sie nächstes Jahr machen werden. Sie scheinen zufrieden zu sein und sind einfach herzensgute Leute. Ich vermisse nicht das Streben nach dem Haus, das die Nachbarn am meisten beeindrucken könnte und auch nicht den Autowahn, der mir hier noch um einige Grade absurder erscheint. Vielen Deutschen ist es bestimmt sehr gut gegangen in den letzten Jahren und manche hat das dazu verführt, sich zu sehr auf solche Dinge anstatt auf das, was man an Gutem hat, zu konzentrieren.

Das Gefühl der Freiheit, das ich in Raglan hatte, ist immer noch da. Und ganz besonders wenn ich wie eine Wahnsinnige durch den eisigen Regen in der Dunkelheit renne, Coldplays "Viva la Vida" im Ohr. Ich habe immer getan, was mir viel Freude gemacht hat. Die Schule, das Studium, auch das Journalistenjobben war gut und das Reisen ist genau mein Ding. Vielleicht muss ich nicht wissen, was ich in zehn Jahren tue. Vielleicht ist es eine gute Idee, einfach den eigenen Intuitionen zu folgen, leicht und glücklich Chancen zu nutzen. Ich habe mich nie gelangweilt und ich habe immer versucht, meine Freude an meinem Leben zu bewahren. Love it, change it or leave it. Es hat so gut für mich funktioniert und ich habe beschlossen, mich nicht mehr verunsichern zu lassen, wenn Menschen in meinem Umfeld mich auf einen Weg bringen wollen, der nicht der meine ist.

Ansonsten ist es frostekalt im wörtlichen Sinne. Eigentlich durchaus das, was ich als Osterwetter kenne. Schnee liegt auf den Hügel und man riecht ihn auch in der Luft. Die Häuser sind wie Bananenkartons isoliert und ich preise meine neu erworbenen Long Johns (Thermounterwäsche) und meinen wuscheligen Schlafsack während Leo von meinem Thermal Liner, meinem warmen Schlafsackinnensack profitiert. Er hat natürlich keine Long Johns gekauft, kauft keinen neuen Schlafsack, auch wenn ich jeden Tag von Federn bedeckt neben meiner Frau Holle aufwache und er will sich einen Liner aus einem alten Bettlaken nähen. Jaja, soll er mal. Eigentlich braucht man doch wirklich wenig. Keine zehn verschiedenen Laufklamotten- ich renne halt hier mit meinen Arbeitsklamotten und meiner guten Regenjacke- und auch keine sieben Jacken. Ich bin oft aus Langeweile und einfach weil die Gelegenheit da war, shoppen gegangen. Beides habe ich hier nicht. Ein paar wirklich gute Teile und gut isses. Es ist bestimmt kein asketisches Leben hier, aber es ist doch eine Besinnung auf das, was mir wirklich wichtig ist und auf was ich gut verzichten kann.

Nun ist bald Skisaison und wir versuchen, in der Gegend um Queenstown und Wanaka auf der Südinsel einen Job zu kriegen, so dass ich endlich skifahren kann. Ich könnte als kitchenhand arbeiten, den Lift bedienen, mit viel Glück sogar als Skilehrer arbeiten oder Kinder betreuen. Und Leo wird natürlich als Koch arbeiten. Ich vermisse den Schnee und das Skifahren wie blöd und kann jetzt einfach noch nicht nach Australien. Kann ja noch warten, oder? Alte Bretter werden wir wohl entweder vom „Dump“ oder vom Op-Shop kriegen. Tourenski zu finden grenzt dabei aber freilich an ein Wunder. Ein Wunsch ans Universum hat mir aber in letzter Zeit doch schon so einiges gebracht. Einen Brettspielfan, einen begeisterten Fischer, einen Leo. Ist doch schon ein guter Anfang.

Achja, Dump und Op-Shop. Da gibt es pfenninggute Sachen und Leo und ich lassen keine dieser herrlichen Gelegenheiten aus. Ich habe einen ausgezeichneten BH im Omastil erworben, der sich prächtig zum Pflücken macht, eine wirklich schöne OperettenCD mit Elisabeth Schwarzkopf und haufenweise Bücher, wobei unser Favorit „The Art of German Cooking“ ist. So komme ich zu ausgezeichneten Kartoffelknödeln, einer bayerischen Creme und Dampfnudeln mit selbstgemachter Vanillesauce. Ausserdem haben wir zwei Golfschläger für je zwei Dollar erworben und werden über Ostern unsere 14 Bälle auf dem Golfplatz in Roxburgh verschiessen. Womöglich werden wir in eine heisse Konkurrenz mit dem netten deutschen Paar Alex und Jochen treten. Sie reisen schon seit zwei Jahren und verdienen hier gerade ihr Geld, um nach Asien reisen zu können. Sie scheinen sich sehr zu mögen und haben sehr viel Energie und Freude. Sie pflücken teils doppelt so viele Bins wie wir.

Das Dörfchen Roxburgh hat sich nun zu so etwas wie unserer nahe gelegenen „Stadt“ entwickelt. Man kennt uns und winkt uns. Die Frau im Häkel- und Strickladen erzählt uns über ihre Reise nach England mit ihrem abenteuerlustigen Gatten und die burschikose Lehrerin, die den einzigen Backpacker hier schmeisst und mit ihrem Farmergatten das Internet betreut, versucht mich zu überreden, bei einem der sogenannten „Variety-Concerts“ in einer japanischen Robe zu singen. Warum? Weil sie die halt hat und schliesslich auch irgendwer singen muss. Zum Glück hatte ich das letzte Mal Halsweh.

Vor einer Woche waren Leo und ich auf einer eigentümlichen Veranstaltung im Entertainment Center in Roxburgh, wo wir heute wieder einmal Kinoabend haben. Der Abend lief unter dem Titel „Get Dotted!“ und zwei Damen und ein Herr führten eine Art kollektiven Psychotest mit dem Publikum durch. Ich glaube, ganz Roxburgh war gekommen, zumindest waren alle da, die wir mittlerweile kennen. Mit den Eintrittsgeldern soll ein Seminar für die Jugendlichen der Gemeinde finanziert werden. Es gab vier Persönlichkeitstypen: den Rationalisten, den Pictorialisten, den Visualisten und den Sensationisten. Die Showmaster lasen typische Verhaltensweisen und Einstellungen vor, wie z.B. „ich orientiere mich an Fakten“ für den Rationalisten oder „ich orientiere mich an Gefühlen“ für den Sensationisten und man sammelte Punkte, wenn man mit den Aussagen übereinstimmte. Wie vermutet habe ich klar im Rationalisteneck gepunktet und Leo im Sensationisteneck.

Er redet gern über seine Gefühle und ich rede manchmal lange auf ihn ein, dass es bei Uneinigkeiten keine schlechte Idee ist, Argumente vorzubringen anstatt nur nach den eigenen momentanen Gefühlen zu handeln. Ich fühle mich ein bisschen wie der Professor in „My Fair Lady“, wenn Leo mir sagt, dass er gerne ordentliches Englisch von mir (der Deutschen?!) und Mathe lernen will und auch sonst auf Bildung hofft. Ich lese ihm allerhand vor und erzähle ihm, was mir gerade in den Sinn kommt. Er versorgt mich mit Sushi für unser tägliches Picknick und fragt mich nach meinen Gefühlen, kümmert sich um einen Ersatzreifen für mein Auto, putzt das Haus und bekocht mich. Er hat sicher keine schrägen Ideen, was Frauen zu tun haben und Männer in keinem Fall machen können oder umgekehrt. Er ist schon ein ganz ein Süsser, mein Leo. Ob wir wohl wirklich gemeinsam durch Deutschland reisen? Nach Grönland für eine Weile gehen? Europa angucken? Zusammenbleiben? Die nächsten hundert Folgen sollen es ans Licht bringen!