Donnerstag, 13. November 2008

Lakshmi Ashram und das einfache Leben






















Nun denn, aus Euren Reaktionen entnehme ich, dass ich wahrhaft harte Freunde habe, die meine Indienerfahrungen soweit ausgezeichnet vertragen. Das freut mich!

Allerdings hat es nun einstweilen ein Ende mit den wilderen Erfahrungen, ich bin in ruhiges Fahrwasser gewechselt. In Kausani habe ich mich im Anashaktiashram einquartiert, wo nur eisefrostekaltes Wasser aus dem Hahn pritschelt und man seine Körperpflege am klügsten auf die warmen Mittagsstunden mit um die 20 Grad verschiebt. Wir sind hier auf 1890 m Höhe, da kann es schon mal frischeln . Ich versuche täglich, die gigantischen Himalayaberge zu sehen, aber ausser den schneebeckten Gipfeln ist da nichts zu holen.

Auf meinen Spaziergängen in der Gegend bin ich zwei Sorten Affenherden begegnet. Die netten, grauen mit den langen Schwänzen seht Ihr oben. Sie wirken im Gegensatz zu den ständig stehlenden und frechen braunen Affen sehr zivilisiert. Hunde und Menschen sind schwer damit beschäftigt, die zweiteren zu vertreiben.

Überaus interessant sind die Gebete in diesem Ashram, das Gandhi anbetet. Man trifft sich abends kurz vor sechs, eingehüllt in Decken und setzt sich auf den Boden, die Frauen rechts, die Männer links. Um Punkt sechs geht die goldene Plastikbatterieuhr an der Wand los und macht einen rechten Lärm, ganz so wie man es sich von einem taiwanesischen Plastikspielzeug vorstellen kann. Das stört aber den Oberashramiten mitnichten, er fängt sofort an, seine Gebete leicht nuschelnd zu singen. Zur Untermalung wird von allen Seiten geschnieft, auch Fürze sind nicht selten. Wenn der Chef mit seinem Gebet fertig ist, fängt eine grössere Diskussion an, was denn nun als nächstes gesungen werden soll. Irgendwann fängt dann eine Frau mit Singen an, wird aber meist wild von einem anderen unterbrochen, ich vermute, er sagt, das sei ja nun ganz falsch, so gehe das Gebet wirklich nicht, woraufhin wieder gross diskutiert wird. Ein anderer Mann fängt ein Genuschel an, dann ist abrupt Ende und auf einmal sagt der Chef, mit dem Finger auf uns deutend: „Your country, your country!“ Ich bin das erste Mal recht erschrocken, dachte ich doch, ich hätte mich insgesamt korrekt verhalten, auf dem Boden im Schneidersitz, ebenfalls leicht vor- und zurückwippend, was ein wenig zurückgeblieben ausgesehen haben mag, aber in der allgemeinen Wippatmosphäre doch eigentlich richtig gewesen sein muss. Später wurde klar, er wollte, dass wir auch singen, was wir nun pflichtschuldig mit „Amazing grace“ tun. Dann wird aufgestanden und der Chef deutet wieder auf mich, die ich die Arme nicht locker hängen liess, sondern vor meinem Körper faltete. Die Nationalhymne wird offenbar nur mit hängenden Armen gesungen. Danach wird unter weiteren Unterhaltungen der Raum verlassen.

Um acht gibt’s Essen in der gewohnten Manier auf Teppichen auf dem Boden sitzend. Gestern haben sie prompt vergessen, mir einen Löffel zu geben und ich hatte meine liebe Not mit dem Reis an Gemüsesosse.

Auch was die Benutzung von Klopapier anlangt, bin ich immer noch ein rechter Westler: ohne is nicht. Kavita meint, ich solle das doch lassen, um das wahre Indiengefühl zu entwickeln. Noch weigere ich mich. Eine indische Toilette besteht im wesentlichen aus einem Loch im Boden. In nobleren Restaurants findet man manchmal eine Kombination aus unseren Klos und den indischen: es handelt sich dabei um eine Schüssel, die man dann aber erklimmen muss und sich in der Höhe hinhockt. Eine ziemlich wacklige Angelegenheit. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Zeitung lesen auf dem Klo hier besonders verbreitet ist.

Betten bestehen hier aus Brettern und einer Matte darauf. Eine harte Angelegenheit, aber warm und im Grunde nicht unbequem. Auf dem Bett wird man durch die riesigen, unfassbar schweren Decken bewegungslos gehalten. Ich schlafe wie ein Stein.

Mittlerweile war ich wie geplant im Lakshmi Ashram. Dort sind 45 Mädchen in einem Internat untergebracht. Sie sind aus benachteiligten, das heisst sehr armen Familien und sehr froh, dort zu sein. Sie sind sehr freundlich und fröhlich und haben mir gesagt, es gefiele ihnen sehr dort. Sie wirken glücklich und singen den ganzen Tag, auch wenn sie schon um 4.30 h in der Frueh aufstehen und arbeiten müssen. Frühstück gibt’s um halb acht, danach wird gesungen. Ich durfte bei einer Probe zum Geburtstag des Ashrams dabei sein. In dem Stück, das die Mädchen aufführen werden, geht es um ein Stück Brot, das die Erde weder dem reichen Mann, noch dem Lehrer, sondern nur dem hart arbeitenden Bauer gibt. Die Erde wird von einem wahren Gesangstalent gesungen. Sie kann auch noch sehr gut Englisch. Die Mädchen sind sehr eifrig dabei. Dann verrichten sie verschiedene Arbeiten in kleinen Gruppen. Ich habe mit ihnen ein Feld umgegraben, Unkraut gejätet und gesät. Sie sind ganz scharf darauf, fotografiert zu werden und wollen mir Hindi beibringen. Ich kann nun schon sagen, wie mein Name ist und nach dem eines anderen fragen. Ausserdem wollen sie mir Lieder beibringen, die z.B. davon handeln, dass einer zeichnet, soweit ich das verstanden habe. Sie haben jedenfalls viel Spass und erzählen mir einigen Blödsinn. Sehr nett herumgeführt wurden Kavita, Lorna, Karl und ich von Arina, einer Kielerin, die hier ein Freiwilligenjahr macht. Sie ist sehr zufrieden dort, wird unterstützt von unserem Programm „weltwärts“, das Leuten bis 26 den Aufenthalt in einem solchen Projekt bezahlt. Sie gibt Kunstunterricht und bastelt mit den Mädchen. Mathe und Geographie übernimmt der Engländer David, der seit 30 Jahren hier wohnt. Englisch wird von Inderinnen unterrichtet, die das leider selbst nicht immer ganz so gut können. Die Mädchen spinnen auch Wolle, knüpfen Teppiche und nähen. Ich habe im zugehörigen winzigen Shop ein Mützchen aus japanischer Wolle für knappe zwei Euro erstanden, das ich nun fromm tragen will. Ich habe den Mädchen noch eine Runde Kekse bringen, die sie wirklich zu lieben scheinen und für die sie mir überschwänglich dankten. Es stimmt, was ich mir gedacht habe: diese Art Arbeit mit Kindern ist wirklich eine Freude und Arina meint, sie könne den Kindern gar nicht viel beibringen, da man uns Westlern ja sogar zeigen muss, wie man Reis von Steinchen mit Sieb und Hand befreit. Ich fühlte mich geschmeichelt, dass ich am Abend kleine Fladenbrote, Roti, mit den Kindern machen durfte. Arina meinte, sonst liesse man die Gäste das nicht machen. Ich fühlte mich ein klein wenig wie in einem historischen Museum: so muss es in Deutschland früher auf dem Land auch zugegangen sein: ein offenes Feuer in der Küche, man zieht alles übereinander an, was sich eben finden lässt, arbeitet hart und geht früh ins Bett, um dann sehr früh wieder mit Gebet und Gesang aufzustehen.

Bestimmt kann man nicht sagen, dass die Welt hier noch in Ordnung ist. Gerade wenn man länger hier ist, kann man bestimmt den westlichen Komfort und unsere Unterhaltungs- und Bildungsmöglichkeiten vermissen. Für die Sehnsucht nach dem einfachen Leben aber ist im Lakshmi Ashram ein wunderbarer Platz.Unterbrochen wird das nur durch das Geklingel der Handys, die einige Mädchen und Lehrerinnen haben. Ich hatte das Glück, mit den Mädchen im Feld arbeiten und singen zu dürfen und wir hatten viel Spass dabei. Sie, weil ich die Lieder auf Hindi kaum lernte und ich weil sie so übermütig waren und sich offensichtlich sehr über meine Gesellschaft freuten. Vor allem waren sie begeistert von meiner Kamera, mit der ich sie auch ein paar Fotos machen liess. Die Herzlichkeit der kleinen und grossen war sehr schön für mich, die kleinen wollten Fingerspiele mit mir machen und kuschelten sich ein wenig an mich. Man hat mir ein Lied beigebracht, in dem es darum geht, dass irgendwer zeichnet. Und ich kann sagen: „Mein Name ist Andrea. Wie ist Dein Name?“ Natürlich sind die Kinder am Abend sehr müde nach viel Arbeit und Schule. Als es dunkel wurde, wurde ich überredet, dort zu übernachten, weil ein Leopard gerade umgeht und man nicht so recht wisse, wie er sich verhält. Mit Arina im Zimmer kam dann eine Art Schullandheimstimmung auf und ich konnte mit ihr und einer Lehrerin eine Morgenwanderung in die Berge unternehmen, bevor es um halb acht Frühstück gab. Eine Lehrerin lud mich ein, gleich für ein Jahr zu bleiben und dann auch Hindi zu lernen. Ich habe mich sehr gefreut.
Nun scheint mein Ziel für diese Gegend erreicht, ich möchte heute noch zur nahe gelegenen Teeplantage wandern und danach in einer kleinen Stadt in der Gegend kurz Quartier machen, bevor es weiter zum Wandern nach Ramgarh zu einem von Rachanas Freunden geht.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…
Der Kommentar wurde von einem Blog-Administrator entfernt.