Samstag, 15. November 2008

Romantik oder so






































Da sitz ich nun neben einer Kerze vor unserem kleinen Feuer, an unserem neuen Ort Almora, das den Rauch natürlich nicht in den Kamin, sondern in unser Schlafzimmer bläst. Indien hat zwar seine modernen Seiten, aber das heisst nicht, dass nicht auch manchmal der Strom ausfällt und man sein Feuer im Schlafzimmer anmachen muss. Nachdem gestern die Ratte von Karl und Lornas Zimmer zu uns gewechselt war und sich über einen meiner Äpfel hergemacht hat, fanden wir es auch einen guten Zeitpunkt, weiterzuziehen.

Das Hotel, in das wir in Almora gezogen sind, gehört Mr. Shah, einem 92-jährigen ehemaligen Bankmanager, der sich alleine darum kümmert. Das bedeutet unter anderem, dass ich mich heute um ein Fläschchen Zeugs mit der Aufschrift „Kills all germs“ gekümmert habe und meine putzige Seite im Bad herauskehrte, was auch die alles andere als pingelige Kavita sehr begrüsste. Und wir wohnen schon im Luxuszimmer des Hauses, das jedem von uns ca. 3,5o Euro pro Nacht abverlangen wird. Wenn uns das zu teuer ist, meinte Mr. Shah, wäre er auch mit jeder anderen Summe zufrieden. Der Mann ist einer von der Sorte, die man ständig knuddeln könnte (Ihr seht ihn neben einem seiner liebevoll drapierten Stofftiere) und das Hotel ist derart besonders, dass es einfach nur noch Spass macht. Hier gibt es einen offenen Kamin und einen gigantischen Jesus über unserem Bett. Die Wände sind mit rotem Tuch behangen und es stehen zwei klapprige Holzliegestühle schräg vor einem Fernseher, den man immerhin dazu bewegen kann, sein rotes Lichtlein aufleuchten zu lassen und darauf eines dieser Lämpchen, die vor allem aus aufgestellten Plastikfädchen bestehen, die leuchten sollen. Natürlich tut die Lampe bei uns nichts ausser durch ihr Dasein ihre eigene Absurdität zu betonen. Dass der vorher von Mr. Shah gepriesene Boiler nicht funktioniert und Spülung bei dieser Pseudowestlertoilette bedeutet, dass wir mit dem Eimer nachkippen müssen, haben wir noch nicht mal mit einem Achselzucken bedacht. Ein wenig schmunzeln musste ich dann aber doch wieder, als ich sah, dass das Wasser aus dem Waschbecken einfach munter auf den Boden rinnt, wenn das kleine Eimerchen darunter voll ist. Die alten Teddybären, die auf dem Weg hierher überall in Blumenampeln hängen und sicher von mehr als einer Generation sehr, sehr lieb gehabt wurden, sagen eigentlich schon alles. Zusammengenommen fühlt man sich, als sässe man mitten in einem Flohmarkt, auf dem es nur die Dinge zu kaufen gibt, die seit Jahren und Aberjahren niemand wollte. Eine echte, sehr grosse Versuchung ist der staubige Schrank mit den blinden Glasscheiben in der sogenannten Empfangshalle, in dem Reisende den „Herrn der Ringe“, den „Fänger im Roggen“ und „Geschichte machen“ neben einigem anderen in bemitleidenswertem, aber lesbarem Zustand hinterlassen haben. Und Mr. Shah erzählte uns etwas aufgeregt davon, dass er eine Dame in Aussicht habe: ein Gast aus Notting Hill meinte, er sei genau der Rechte für ihre Oma. Ich wünsche dem kleinen Mann das Beste und alles Glück!

Ein nobles Hotel ist dafür gemacht, dem Reisenden Komfort zu bescheren, unsere Hotels scheinen dafür gemacht, uns Erlebnisse mitzugeben und unseren Humor auf die Probe zu stellen. Hat ja nun alles seine Vor- und Nachteile.

Der heutige Tag war einer des Ausprobierens. Gegipfelt hat die Versucherlaune in einem neuen Haarschnitt, der wirklich sehr kurz geraten ist. Nun ja, kostet ein zwölftel des billigsten Friseurs in der Heimat und war ein Erlebnis. Arina kam mit mir und Kavita nach Almora. Sie ist ebenso experimentierfreudig wie ich, was das Essen anlangt und so futterten wir uns durch die hier berühmten Süssigkeiten, die meist sehr süss, manchmal aber auch voller Gewürze und ganz sicher voller Überraschungen sind. Ich hatte auch geröstete Linsen, die ein bisschen wie Erdnüsse schmecken und fette süsse Kringel mit fantastischem Joghurt in einem kleinen Restaurant, zubereitet von einem wirklich sehr attraktiven Inder. Vielleicht wird mir mein heute für einen Euro fünfzig erworbenes „Teach yourself Hindi“ noch gute Dienste erweisen, wenn ich dort wieder vorbeischaue und mehr sagen kann als nur wie mein Name ist und dass ich Joghurt (Cörd) und Kringel (Jellibi) mag. Almoras Fussgängergässchen sind einen Spaziergang wert, ich fühle mich öfter sehr versucht, einfach in die duftenden Säcke mit Anis oder in die Kichererbsen zu springen oder doch mal das ganze gehörig durch die Finger rieseln zu lassen. Und dann sind da natürlich all die wunderbaren bunten Stoffe, die einem das Gefühl vermitteln, dass man doch so farbig und lustig durch die Welt gehen darf, wie man gerade will. Vielleicht besteht der Witz gerade darin, dass die Farben eben nicht zusammenpassen. Eine sehr befreiende Sache. Immer wieder spannend sind die Apotheken am Rande, die alles verkaufen, was bei uns der Arzt wohl nur im äussersten Notfall verschreiben würde. Ich komme auf den Geschmack mit frischen Guaven und freue mich an den herrlichen Chapati, die ich ja nun schon selbst im Lakshmi Ashram produzieren durfte. Da man sie erst in einer Pfanne anbrät und dann noch in die Kohle wirft, kommt es immer wieder vor, dass auf dem Teller Kohlestückchen auftauchen. Das einfache Essen hier ist aber insgesamt eine Wucht und mein Abendessen, bestehend aus fünf Chapati, einem Stückchen Butter und einem Joghurt als Nachspeise kostete mich mit Trinkgeld 27 cent und war deliziös!

Katrin, eine Schwedin, hat sich uns nun ein bisschen angeschlossen, sie würde auch gern zum Gletscher wandern und Mr. Shah hier will sich darum kümmern, dass das klappt. Ausserdem riefen Lorna und Karl an, die sagen, dass sie uns vermissen, was wir sehr lieb finden und daher morgen den Tag mit ihnen verbringen. Am Ende werde ich hier mit einem Tross weisshäutiger Menschen durch Indien zockeln.

Gestern haben Kavita und ich einen längeren Spaziergang zu einer Teeplantage unternommen, der sich wirklich ausgezahlt hat. Es war spannend zu sehen, wie die Teeblätter mit Kraft von einer jungen Frau gepflückt werden und dass es sich bei Teebäumchen um gerade mal hüfthohe, bonsaiähnliche Gewächse handelt. Auch der Trockenvorgang mit Ventilatoren und Rüttelmaschinen, Sieben und einer Temperatur von hundert Grad war toll anzusehen. Ich werde Tee nun ein bisschen anders sehen. Der Tee aus Kausani sei weltberühmt und ist offenbar sehr teuer. Ich hab mir ein Tässchen weissen Tees gegönnt, der sehr sanft und rund schmeckte. Hmmmmm. Irgendwie haben wir verpasst, in die Schalfabrik zu gehen. Aber hier haben wir wieder die Chance.

Gut, der Teil als uns bettelnde Kinder auf dem Heimweg mit Stöcken bewarfen, weil wir ihnen kein Geld geben wollten, war eine unangenehme Sache. Ich ignorierte sie erst, drehte mich dann nach einiger Zeit schnell um und schrie sie an: „Stop it!“, was sie zusammenschrecken liess und uns Ruhe brachte. Sutcliffe schreibt, man verwandle sich hier in ein Miststück, das Leute rüde abschüttelt und anschreit. Ich werde also nicht nur mit einem Matschhirn weiterziehen müssen, sondern auch noch eine fiese Person sein – das sind ja mal Aussichten!

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