Montag, 10. November 2008

Regeln fuer den Indiengebrauch






Montagabend geht es nun aufs Land, nach Kausani zum Laxmi Ashram. Es könnte sein, dass ich dort kein Internet habe und daher auch nix bloggen kann. Es könnte auch sein, dass ich dort weit weniger komfortabel hause. Komfort ist sowieso ein heiteres Thema hier. Nachtzüge, lange Busfahrten und sehr unterschiedliche Unterkünfte werden mich erwarten. Hier findet man das alles wunderbar, niemand beschwert sich oder ist unruhig. Wir Deutschen werden ja schon unruhig, wenn wir mal zwei Stunden im Regionalzug dahinbummeln, der auch noch unfassbare sieben Minuten zu spät kam. Ha! 

Den Vormittag habe ich damit verbracht, meinen lustigen Sutcliffe zu beenden, nachdem sich Kavita gestern noch vor Lachen darüber im Bett hin und hergeworfen hat. Das lustige ist, dass man vermutlich seinen Indientrip cancelt, wenn man dieses Buch liest, es aber wohl einfach stimmt, was darin steht.

Ich versuche gerade Regeln zu finden, an die man sich halten kann, wenn man den Trip nicht nur hinter sich bringen, sondern wirklich geniessen will.

  1. Erwarte alles, nur nicht, dass es so kommt wie ursprünglich geplant.
  2. Lass Dich nicht zu sehr schocken, weder von Reichtum, noch von Armut.
  3. Geh Deine Wege, auch wenn viele Menschen auf Dich einreden und Dich davon abhalten wollen.
  4. Nimm Klopapier mit.
  5. Ignorier den Lärm, egal ob er nach einem Bombeneinschlag klingt oder ein Flugzeug in Deinem Zimmer zu landen scheint (beides erlebe ich hier jede Nacht ziemlich oft).
  6. Lerne voll dabei zu sein, aber dann auch wieder alles um Dich herum auszublenden.
  7. Liebe die tausend Geschichten,die sich hier in endloser und wunderbarer Farbigkeit ständig vor Deinen Augen abspielen.

Aber natürlich arbeite ich weiter an einem Regelkatalog, der besser aufs Land abgestimmt ist als dieser nach den bedeutenden Erfahrungen einer Woche.

Reisen bringt einen viel mehr zu sich selbst und ins eigene Land als das Daheimbleiben. Ich habe hier lange Gespräche über das Unglücklichsein der Westler mit Rachana und Kavita, über Distanz und Automatisierung, über das Gewicht auf den Dingen in Deutschland. Rachana war sehr erstaunt, als sie in Deutschland war, wie wir so unzufrieden sein können. Wir haben doch materiell so viel. Kavitas und meine Theorie ist, dass viele doch noch ein wenig spüren, dass sie ihren Fokus so sehr auf das Materielle gelegt haben, dass es sie aber nur in scheinbarer Sicherheit wiegt und sie doch vollständig leer und unglücklich zurücklässt. Vielleicht keine besonders originelle Theorie, aber eine, die mir emotional sehr einleuchtet, gerade wenn ich hier zufrieden lächelnde Leute auf der Strasse sitzen sehe. Überhaupt sehen einen die Leute hier sehr direkt an, man kommt ständig in einen meist sehr freundlichen Blickkontakt mit den Leuten, hier wird nicht so schnell weggesehen. 

Und weiter verstärkt sich mein Eindruck, dass wir in Deutschland in einer sehr gut organisierten Spielzeugumgebung leben. Gleichzeitig nehmen wir freilich alles furchtbar ernst. Wenn ich hier über Rentenansprüche rede, ist die Reaktion für gewöhnlich eine Art Lachkrampf. Alles ist bei uns an seinem Platz: die Armen unter sich, die Hunde im Tierheim, die Autos in der Garage. Und vieles läuft automatisch, was in Indien per Hand gemacht wird. Hier gibt es die ganze Bandbreite des Lebens auf wenigen Quadratmetern. Der Reiche in seinem Jeep neben dem armen Riksharadler mit Stahlträgern als Ladung, die westlich gekleideten Inderinnen neben den streunenden Hunden.

Rachana hat mich zu einem vorzüglichen Essen in ein feines vegetarisches Restaurant eingeladen. Was das indische Essen in Deutschland anlangt, ist die Richtung sicher ähnlich, aber hier ist doch alles sehr viel leckerer. Die vielen herrlichen Gewürze sind eine wahre Freude! Ein bisschen viel vielleicht für meinen nun grummelnden Magen, den ich mit ein paar Tröpfchen Iberogast aber beschwichtigen konnte.

Beim Essen hat Rachana ihre weiteren Kontakte für mich ausgerollt. Ich werde nicht nur in Ramgarh mit Manish von einem dortigen Ashram wandern gehen- ich hab mit ihm telefoniert, er scheint sich schon richtig auf den Besuch zu freuen- sondern auch ihren Bruder in Varanasi treffen und einen weiteren Freund in Pushkar. Dort  werde ich mich auf einem Kamel durchschütteln lassen. Es ist fast so als hätte ich einen All- inclusive-Trip gebucht. Nur ist meiner persönlich und ungeplant. Ich kann mein Glück kaum fassen, wie sehr man sich um mich kümmert und danke hier auch gleich Ralf Girg, der mich in den Ashram gebracht und den Kontakt zu Rachana hergestellt hat! Kavita meinte gestern, ich würde es verdienen, dass man sich um mich kümmert, es sei ganz klar, dass die Leute das wollen. Es ist wirklich toll und ich bin gerührt.

Auch mit ihr ist es weiter sehr interessant, ich habe ihr schon allerhand Geschichten aus meinem Leben erzählt und umgekehrt. Sie sucht gerade nach einem Ort, an dem sie eine spirituelle Gemeinschaft gründen kann. Sie meinte gestern, ich könnte dort eine wertvolle Person sein, die den Leuten einfach zuhört. Eine nette Idee. Die Idee an der Gemeinschaft ist, die weibliche Sichtweise des Spirituellen mehr einzubringen und sich von der männlichen etwas zu lösen, um aber letztlich ein rundes Ganzes zu haben. Eigentlich so gar nicht mein Ansatz, aber sie weiss ihre Idee überzeugend zu verteidigen. Überhaupt bringt sie mich viel zum Nachdenken, ist sie doch offensichtlich sehr schlau und belesen und an allen möglichen Dingen interessiert.

Ich war im Ashkardhamtempel und hab mich von Rachana dafür schelten lassen, dass ich wieder zu viel für meine Rikshafahrt bezahlt habe. Zahl niemals mehr als 150 RS (keine drei Euro), selbst wenn er Dich über eine halbe Stunde ans andere Ende der Stadt fährt. Und ich war schon stolz auf meine eiskalten Verhandlungen... Der Kerl müsse nicht mal treten, meinte sie und nur ein bisschen Benzin kaufen, das sei doch kaum Arbeit. Tja.

Im Tempel wurde ich sehr ernsthaft von einer jungen indischen Besucherin befragt, was ich arbeite, wie lange ich hier bin und wieviel Urlaub wir haben. Das Amüsante war nicht, dass sie mich fragte, sondern der Ton, der nach einer knallharten Befragung klang, wo es sich doch nur um einen kleinen Smalltalk während des Anstehens handelte. Dort konnte ich mich auch einfach hinsetzen und mit den Kindern albern. Ein Mädchen fragte offensichtlich ihre Eltern, ob sie zu mir gehen und mir die Hand schütteln dürfe. Sie durfte und war happy. Menschen beobachten ist hier eine Beschäftigung, der ich dauernd nachgehen könnte. Vorteil: die meisten Inder sind kleiner als ich und wenn ich stehe, ist das selbst in Menschenmengen eine einigermassen übersichtliche Angelegenheit. 

Kavita meinte, der Tempel mit seinen vielen Nebengebäuden und dem Park sei das Disneyland der Religionen aus Marmor und pinkem Sandstein mit 20000 Gottheiten. 2005 ist er eröffnet worden. 469 Pfauen waren an einem kleinen Gebäude zu sehen, dann wieder lebensgrosse Kinder und Götter in Gold. Wenn ich die Geschichten der Heiligen anschaue, fühle ich mich sehr an die der christlichen Religion erinnert. Sehr sanftmütige Wesen mit grosser Opferbereitschaft bringen Liebe und Weisheit. Vielleicht ist die Idee, die Religionen zu vereinen, doch eine der besseren.  Im Kern scheint die Lehre ähnlich. Oh, ich versteige mich, ganz aus dem Quell meiner Unwissenheit, man möge es mir verzeihen ;).

 Immer und überall  ist Staub in der Luft, ich erschrecke jedesmal, wenn ich mir die Nase putze und merke, dass es ein Vollzeitjob ist, sich einigermassen sauber zu halten. Selbst meine kurzen Fingernägel bleiben dreckig, egal wie viel ich wasche. Ich vermisse mein Handbürstchen, dies hier nicht zu kaufen gibt. Umso mehr bewundere ich die Inder, die hier fast alle in perfekt gebügelten Hemden oder Saris herumlaufen. Sogar eine Frau, die am Rande einer vielbefahrenen Strasse den Boden umgrub, schien ganz unberührt von allem Dreck. Das Abschalten funktioniert hier offenbar nicht nur geistig hervorragend.

 Darf ich noch was sagen, ganz verschämt aus dem Eckchen? Ich verwöhntes Westkind bin gleich derart glücklich über meine Ausrüstung. Mein Computerchen ist eine Wucht, mein superleichtes Handtuch ein Traum, die Funktionsklamotten vom Feinsten, wenn man erst läuft und dann weiterziehen will und der Schlafsack eine herrlich leichte und angenehm warme Decke und der Rucksack einzigartig zu tragen. Fazit: Meine Reiseplanung vor allem bezüglich der Ausrüstung und weniger bezüglich der Route zahlt sich bis dato voll aus. 

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