Freitag, 21. November 2008

Pushkar und der ganze Wahn







Wie war das mit Hochmut und Fall? Nun ja, nachdem ich in Almora unbedingt noch allerlei Süsses und Fettes essen musste, hat mein Magen nach fünf Stunden Busfahrt ansehnlich protestiert. Nach einem verschlafenen Tag im Sri Aurobindo Ashram in Delhi, meinem Allheilmittel Apfelschorle, etwas vom guten Iberogast und homöpathischen Kügelchen, die mir Kavita reichte und auch der hiesige Homöpath mitgab, ist alles schon wieder ganz gut. Ich vermisse frischen Salat und ungesüsste Fruchtsäfte. Ich würde gerne Leitungswasser trinken und meine Zähne damit putzen. Ein ordentliches Müsli hätte auch was. Und ich will ein Steak, ausgerechnet. Aber diese Wünsche werde ich mir sicher in Neuseeland erfüllen können.

Lorna stimmte mir zu, dass man sich als Westler immun fühlt. Nein, mich fällt kein Tiger an, sowas gibt es doch nur in den wilden Geschichten über Afrika, aber nicht im wahren Leben. Und mich erwischt auch sonst keine Krankheit wie Tollwut, die bei uns als ausgemerzt gilt und Lepra sowieso nicht. Ich bin doch eine Weisse, grösser als die meisten Inder, überblicke das Feld und bin mehr ein Betrachter vom fernen Stern und nicht so ganz mittendrin. Bald ist der Traum wieder vorbei. Erst als ich vom Typhus der Schwedin höre und diese unglückliche Nacht im Zug verbringe, dämmert auch meinem Gefühl, dass ich mehr mittendrin bin als ich wahrhaben will. Die Westler in Delhi lächelten mich in freundlicher Verbundenheit an, ein bisschen als wollten sie sagen: „Ist schon verrückt hier, nicht wahr? Aber wir haben ja uns.“ Ich weiss nicht, was ich davon halten soll.

Die Busfahrt von Almora nach Kathgodam war eine wirkliche Meditationsübung. Ich sass vorne und war zu Beginn der kurvigen Fahrt in diesem sehr rostigen und knarzenden Bus, naja, man könnte sagen: nervös. Zu Kavita gebrauchte ich die Worte: „scared to death“. Ich hatte sehr oft die Gelegenheit den geschätzte vierzig Meter entfernten Abgrund direkt unter mir zu betrachten. Aber irgendwann war mir klar: Alarmstufe eins wird mir nicht helfen. Wenn ich das nicht überleben sollte, so könnte ich meine letzten Stündchen auch in gelassener Freude verbringen. Ich hörte ein wenig Musik, sang dann vor mich hin und genoss die Aussicht, die schliesslich im wahrsten Sinne atemberaubend war. Natürlich gibt es keine Strassenbeleuchtung und entgegenkommende Fahrzeuge, zumeist Busse oder LKW, die wie ein ganzer Jahrmarkt mit Herzen und anderem Blinkzeug ausgerüstet sind, werden auf besondere Weise gewarnt, dass man kommt. Man schaltet in schneller Abfolge das Licht aus und kommt zu einem kreischenden Halt. Das kann manchmal etwas dramatisch wirken, wenn beide am Steilhang bremsen und es auf einem Stocknacht ist, weil beide ihre Lichter ausschalten und niemand mehr weiss, wo er nun eigentlich hängt oder steht. Insgesamt funktioniert das aber erstaunlich gut. Und der Verkehr ist zwar von stetem Hupen durchsetzt, es wird aber nie geflucht und es gibt keine bösen Zeichen. Hupen bedeutet nur, dass man kommt und der andere einen bitte nicht über die Böschung schieben soll.

Die Zugfahrt über döste ich, mein Magen liess mir keine Gelegenheit, mir über andere Dinge Sorgen zu machen und mit meiner wunderbaren Thermarestmatte und Schlafsack konnte ich sogar neben dem andauernd ohrenbetäubend quakenden Lautsprecher „May I have your attention, please?!“ passabel ruhen. Ein Pakistanischer Mann war von all dem recht beeindruckt und meinte, ich hätte da ja ein tolles Arrangement. Hier kennt man nämlich diese Outdoorsachen einfach nicht. Ein Inder im Bus erklärte den anderen bereits ziemlich aufgeregt die Funktionsweise meines Rucksacks mit Hüftgurt, Thermarestmatten und Schlafsäcke sind da freilich noch viel grössere Sensationen. Vor allem, wenn man gewöhnt ist, seine Sachen in alten Säcken zu transportieren und mit einer Art Stirnband befestigt herumzuschleppen oder auf dem Kopf zu tragen.

Ich brachte mit Kavita wieder einmal das Thema Komfort zur Sprache. Im Vergleich zu ihr bin ich ein rechtes Weichei. Sie meinte, im Westen findet sie es weit weniger komfortabel, zumal man sich nichts leisten kann und sehr viel dafür arbeiten muss, oft in einem Job, den man hasst. Das nennt sie einen Mangel an Komfort. Hier kann für drei Euro Übernachtung und Vollpension buchen, wobei man soviel Nachschlag haben kann, wie man will. Man fährt zehn Stunden Zug für drei Euro im Schlafwagen und ein Essen in einem schicken Restaurant mit vielen Gängen für zwei ist durchaus für sechs Euro zu haben. Und Taschenbücher kosten zwischen drei und zehn Euro, selbst die importierten. Ich bin gespannt, wie ich das Thema Komfort in Neuseeland neu betrachten werde. Ich freue mich schon sehr auf die Reise dorthin.

Mittlerweile bin ich an meinem neuen Ziel Pushkar angelangt.Gestern starteten wir mit dem Nachtzug von Delhi los und ich überreichte Kavita ein Buch von Sutcliffe zum Abschied, auf dass sich der Spass fortsetze, den wir gemeinsam hatten. Sie ermahnte mich mehrmals zu schreiben, dass er mir auch wirklich gut gehe und wollte schon beinahe mit mir in Ajmer aussteigen, um mit mir weiter nach Pushkar zu fahren. Ich wurde sozusagen wieder einmal adoptiert. Doch kaum nahte die Trennung von Kavita, änderte sich auch meine Rolle und ich lotste zwei Spanier und eine Französin gen Bus und damit gen Pushkar. Von den Spaniern spricht einer ein wenig Englisch, der andere Französisch und bei Marie, der Französin ist es mit Englisch nun wirklich nicht weit her. Sie war so froh, dass ich die Dinge in die Hand nahm, dass ich nun mit ihr ein Zimmer im Aroma Hotel in Pushkar teile und viel am Übersetzen bin. Das Hotel hat eine Dusche, warmes Wasser und vermutlich keine Bettwanzen, mehr will man nun wirklich nicht erwarten für die zwei Euro Übernachtungskosten.

Nachdem ich in Pushkar gleich zwei Stufen aus dem Bus auf meinen Rucksack fiel und von einigen schockierten Indern in die Höhe gezogen wurde, bugsierte ich mich durch alle Herren mit offenkundig überaus preisgünstigen aber exzellenten eigenen Etablissements gen Hotel. Alle wollen natürlich, dass man in ihrem Gästehaus übernachtet. Einer von ihnen war besonders hartnäckig, so hartnäckig, dass wir es irgendwann beide komisch fanden und lachen mussten. Vor allem, als ich anfing, weitere mögliche Vorzüge seines Hotels aufzuzählen wie z.B. einen Riesenpool und eigene Diener für mich.

Hier angelangt rief ich Yaan an. Er kam sofort mit seinem Motorrad angebraust und nahm Marie und mich mit in seinen Laden, munter durch die Fussgänger navigierend. Er ist ein sehr attraktiver und netter Inder mit sehr gutem Englisch, der offenbar seine zweieinhalbjährige Nichte sehr liebt, mit der wir lustig gealbert haben. Er hat hier einen bunten Taschenladen und arbeitet nebenher als Touristenführer. Er hatte gleich eine Täschlein für meinen Schlafsack parat, dessen eigentliche Tasche ich dummerweise im Zug habe liegen gelassen. Bei ihm traf ich auch noch auf eine italienische Dame, Rosanna, die auch kein Englisch kann. Mit den dreien ergab sich so eine eher anstrengende Unterhaltung, da ich für alle als Übersetzer herhielt, worüber sie natürlich ganz froh waren. Yaan meinte schon, Rosanna sei schon am Vortag aufgekreuzt und man habe nur über den Taschenrechner und daher wohl über Preise kommuniziert. Sein bester Freund hat gerade ein kleines Hotel eröffnet mit tollem Blick auf den heiligen See, in dem man auch mit viel Respekt und vor allem voller Bekleidung ein Bad nehmen darf. Die Dachterrasse ist hier wie in unserem Hotel sensationell und vor allem hat man Gelegenheit, einmal ein wenig Ruhe zu geniessen und z.B. seinen Blog zu schreiben, ohne dass einem die verschiedensten Menschen lautstark die verschiedensten Dinge andrehen wollen. Der eine Junge sammelt Münzen aus der ganzen Welt und will mich in sein Haus einladen, die nächste Frau will photographiert werden, Kinder wollen mir die Hand schütteln, andere wollen mich mit der Riksha herumkutschieren und die nächsten wollen mir eine Blume für den heiligen See geben und wieder einer will mir seine Kirche zeigen. Auf all diese verlockenden Angebote kann ich natürlich nicht eingehen und bin manchmal kurz davor zu schreien: „Stop! Ich will jetzt sofort meine Ruhe haben! Ich bin ein ordnungs- und privatsphäregeliebender Europäer und ich will mal fünf Minuten denken, ohne dass mich wieder einer anquatscht!“ Meinem Wunsch nach all dem hat das Schicksal nachgegeben, als ich gestern ganz zufällig in der Bibliothek des Goetheinstituts landete. Ordentliche Zeitungen mit Text, in die man sich mehr als zwei Minuten vertiefen kann! Bücher, Ruhe! Mein Gott, war das schön!

Meditieren oder wahnsinnig werden, das scheinen hier die Alternativen zu sein. Mit einer Mischung aus Abscheu und Verwunderung treffe ich hier auf einige Westler, die das offenbar nicht als Alternativen, sondern als wunderbare Kombination ansehen: meditieren UND wahnsinnig werden scheint ihre Wahl zu sein, wenn sie mit vollkommen verklärtem Blick Blümchen durch den See schieben, die Augen auf irgendeinen selbst ernannten Guru geheftet, eingehüllt in vielfarbige Stoffbahnen. Nein, das kann nicht gesund sein! Ganz so viele Touristen habe ich bis dato noch nirgends in Indien angetroffen und daher auch nirgends so viele Nepper und Marktschreier. Nirgends schien mir die Hippie- und Drogenszene so lebendig wie hier. Natürlich gibt es auch allerlei Yoga- Meditations- und Reikikurse und man kann sich Hände und Füsse massieren lassen. Mal sehen, wofür ich mich breitschlagen lasse. Bis dato komme ich mich noch als eher abgeklärter analytischer Philosoph vor, der vieles mit einiger Distanz und Kopfschütteln aufnimmt.

Yaan will eine Kamelsafari für mich organisieren und er schlug auch vor, eine Radtour zu machen. Beides kommt mir sehr entgegen. Wüste bedeutet hier nicht nur Sand, es wächst schon hie und da was und auch die Hitze ist nicht allzu wild. Aber es ist schliesslich auch Winter und die Inder klagen über die „Kälte“, die mich nur milde schmunzeln lässt. Yaan schlug auch eine Tour auf einen Hügel vor, um den Sonnenaufgang zu bewundern. Nein, nein, die Idee war, dass ich allein dorthin wandere!

Gestern war ich noch mit Rachana, Sanju und Kavita beim Essen, wobei wir nicht nur herausragend speisten, sondern auch richtig viel zu lachen hatten. Rachana hat eine gewisse Ironie, die ich sehr mag und die mir entspricht. Das beste ist, dass mich in Varanasi, meiner nächsten Station, ihr Bruder nicht nur abholen wird, sondern ich auch bei ihren Eltern wohnen darf. Ich bin wirklich überwältigt von soviel Liebenswürdigkeit! Dort werde ich dann wieder etwas weniger Tourismus erleben und dafür sehen, wie eine Familie hier lebt, worauf ich mich wirklich freue.

Bis jetzt fand ich es meist spannend und lustig. Wenn ich dann aber in Delhi vor einem grossen Kino stehe und einfach nur gemütlich den neuen James Bond sehen mag, das aber nicht möglich ist, da mein Rucksack und auch nicht mein Handy oder meine Kamera mit hinein darf, zeigen sich die nervigen Seiten. Gut, ich hätte das Zeug blauäugig dem zwielichtig aussehenden, dünnen Herren überlassen können, der da mit einer grossen Metallbox stand. Beinahe eine Garantie dafür, dass das das ein Abschied von meinem Rucksack für immer gewesen wäre. Kein James Bond, tja. Und auch wenig Ruhe und Raum für sich allein. Ich vermute, das sind die Seiten, die die Westler wahnsinng machen. Wie es auch in meinem Buch „Shantaram“ von einer der Figuren heisst: Die Inder sind Menschenfreunde. So viele Menschen auf so engem Raum- die Europäer würden sich totschlagen, die Inder kommen damit klar. Bleibt ihnen ja auch nicht viel anderes übrig. Dazu noch überall Kühe, Schweine und Hunde, gross und klein, leidend und munter. Wahre Überlebenskämpfer viele von ihnen.

Meine letzte Station und auch mein Abflughafen gen Auckland ist Bombay. Dorthin gelange ich von Varanasi auf einer beschaulichen 27-stündigen Zugfahrt. Yaan hatte eine Freundin in Neuseeland und hat sich zwar von der Frau aber nicht vom Land entliebt. Für ihn suche ich nun einen billigen Flug im Februar, was ihm bis dato noch nicht gelang. Dass ich Reisegesellschaft innerhalb Indiens finden würde, dachte ich mir, nicht aber, dass sich ein Inder ebenfalls nach Neuseeland aufmachen will. Zumal es einfach schwierig ist, mit hiesigem Verdienst in andere Länder mit hohen Preisen zu reisen. Ich meine, selbst ich Hungerleider bin hier als ernstlich reiche Person angesehen.

Achja, das Land hier scheint mir ein Traum für schwule Vegetarier. Händchenhaltende oder eng umschlungene Männer sieht man hier ständig, aber sie sollen hetero sein, betont man immer wieder. Und da Fleisch zu essen mit ernstlichen Magenfolgen enden kann, lässt man es besser. Es gibt eh kaum welches. Ich wüsste ja gern, was passieren würde, wenn ich eine gemütlich im Müll mampfende Kuh über den Haufen schösse und grillte, harhar.

Achachja: a propos Müll: man hat nur die Chance, das Zeug einfach fallen zu lassen, wo man eben ist, es z.B. aus dem Zug zu werfen. Dieses Land kennt keine Mülleimer, nein und auch den kleinsten gelben Sack konnte ich nirgends entdecken und nein, auch keinen Altglascontainer, schön nach Farben getrennt. Meine Ordnungsliebe und versuchte Umweltfreundlichkeit jault.

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