Montag, 17. November 2008

Mr.Shah











Lorna und Karl vermissen uns. So kommt es, dss wir uns jeden Tag wieder treffen, nachdem wir uns vorher innig verabschiedet hatten Und wir sind schon gespannt, ob sie nicht doch noch kurzentschlossen mit uns mitkommen. Sie meinten schon, dass sie noch nie in Rajasthan waren. Uns würds freuen. Es liegen zwei Nachtzugfahrten vor mir, heute eine nach Delhi und morgen eine nach Ajmer, von wo aus ich nach Pushkar weiterfahren will, um dort eine Kamelsafari mitzumachen und auf den dortigen See zu gucken. Weg aus Almora, weg von meinem attraktiven Jellebi-mit-Joghurt-Verkaeufer. Jellebis sind suesse Fettkringel, mmhmmm, eine wahre Wucht und er macht sie einfach wunderbar!



Mein Hindibuch ist nur bedingt hilfreich, z.B. sind darin nicht die Zahlen aufgeführt und man kann sich darüber freuen, dass man den Satz, man sei 6 ft. 10 auf Hindi sagen kann, aber keine andere Grösse angeben kann. Man erfährt auch allerlei Wissenswertes über die Zeiten in Hindi, so kann man nicht nur „I will be going“ und „I will have gone“, sondern auch „I will have going“ sagen: Main jata raha ho unga! Ist das nicht schön? Auch „The Week“, der hiesige Spiegel, der eher wie die Newsweek aussieht, macht mir Freude mit folgender verlockender Essensbeschreibung: „A mildly spiced beef stew that is littered with small rice dumplings.“ und der Lonely Planet tut sein übrigens mit folgendem Zungenbrecher: „Tiruvannamalai is also home to the Sri Ramanamasramam Ashram.“



Nach einem feinen Spaziergang zu Eagle's Rock ein wenig oberhalb Almoras mit endlich klarem Himalayablick und Lorna und Karl, machten wir uns auf zur Schalfabrik. Dort arbeiten 350 Frauen und acht Männer, die Masterweaver. Die Fabrik ist ein Projekt, das Arbeit schaffen sollte und das ist Mikta, der Chefin und Gründerin auch wirklich gelungen. Die Menschen dort verrichten sehr einfache und eintönige Tätigkeiten. Eine ist, die Wolle zu säubern, die sie geliefert bekommen. So sitzen dreißig Frauen auf Plastikfolien im Schneidersitz am Boden und rupfen an kleinen Wollhäufchen herum. Andere weben, was natürlich schon sehr viel anspruchsvoller ist und wieder andere sitzen an Fahrradfelgen, um die Fäden aufzuziehen. Man durfte leider keine Fotos machen und ich konnte nach Anfrage bei unserer Führerin Muni nur das eine erhaschen. Es gibt auch eine Gruppe, die Schals aus Brennesselfäden strickt und eine, die kleine rote Etiketten mit weißer Farbe in sehr feinen Mustern bemalt. Die Schals werden in alle Welt geliefert, momentan steht eine Lieferung nach USA an. Das Erstaunliche für mich ist, dass diese Arbeiten alle furchtbar eintönig erschienen und ich schon beim Zusehen dachte: herrje - und das ein Leben lang machen?! Aber sie scheinen alle sehr glücklich. Nun haben sie Arbeit, verdienen vielleicht sogar besser als ihre Männer und tun was Sinnvolles. Außerdem scheinen die anderen eine nette Gesellschaft darzustellen, meinte Lorna. Jedenfalls bin ich ins Grübeln gekommen, unter welchen Bedingungen meine locker bei H und M gekauften Klamotten wohl entstehen. Was ich nämlich in der Panchachuli Womens Weaving Factory gesehen habe, sind die guten Bedingungen.



Am Sonntag, am Tag zuvor, ergab es sich, dass ich mit unserer schwedischen Nachbarin Katrin und unserem Mr. Shah einen Ausflug zum nahe gelegenen Nanda Devi Tempel unternahm. Dort betete er und liess seine erstaunlich kräftige und sichere Stimme erschallen, während ich auf dem stillen Berg Greifvögeln beim Fliegen zusah und frische Luft und Aussicht genoss. Dort hatte es eindeutig Stimmung. Das fand offenbar auch ein Einsiedler, der schon seit acht Jahren dort oben sitzt, wie er mir erzählt hat. Mr. Shah erzählte uns ein wenig aufgeregt von seiner Gefährtin aus England und dass es doch nett wäre, wenn die Einundachtzigjährige im Falle seines früheren Ablebens mit ihm verbrannt würde. Ich war mir nicht so sicher, ob das auch der Plan der Engländerin ist. Auf dem Rückweg sahen wir Löwenspuren im Sand und Mr. Shah meinte, die seien hier durchaus verbreitet und würde hie und da in der Nacht auch jemanden angreifen. Das erstaunlichste war, dass er den halben Weg, den uns der Jeep vom Tempel nicht gefahren hatte, ganz munter lief. Ich würde sagen, das waren bestimmt fünf Kilometer und er war wirklich gut dabei. Besser als die quengelnde Katrin, die nach Kaffee und Essen winselte. Shah lud dann noch zu einem seiner Enkel in ein winziges Restaurant ein, in dem es herrlichen Tee und mit Masala gewürzte Kartoffelpuffer gab. Als ich Shah wegen seines munteren Schritts lobte, meinte er, er sei ein Sportsmann gewesen, mit viel Rennen und Hockey. Ah, meinte ich, ich renne auch viel. Darauf er, ganz entsetzt: „What happened? Why are you so bulky now?“

Und natuerlich trafen wir auf die durchgeknallte Franzoesin. Es gab kein Entrinnen, ich haette hoechstens den Berg hinunterspringen koennen, als sie uns auf einer der engen Strassen entgegenkam. Katrin kannte sie noch nicht und hat sich sofort zulabern lassen. In Sekundenschnelle hat sie sie sogar umarmt, als sie meinte, sie muesse Medikamente nehmen. Sie sei krank, habe Depressionen, Angstzustaende und Tinnitus. Das schon vor Reise. Sehr verstaendlich, dass man sich in dem Zustand mit vier schweren Taschen nach Indien aufmacht und dort von den verschiedenen Reisenden Unterstuetzung erwartet. Katrin erzaehlte dann von ihren Depressionen und Mr. Shah entfernte sich, waehrend ich in einem spontanen Reflex eine Felsen erklomm und mich dann mit meinem Buch zum Lesen setzte. Nein, ich bin kein wandelnder Psychotherapeut!

Über Katrin haben Arina und ich uns schon ein wenig amüsiert. Sie will gern eine Gletschertour im Niemandsland machen, allerdings mit ganz knappem Budget und selbst Zelt und Kocher tragen. So könnte es gut sein, dass sie irgendwo hockt, wo niemand ist außer ein paar Löwen und Leoparden, die genauso hungrig sind wie sie. Sie hat ausserdem alle möglichen Nahrungsergänzungsmittel dabei, Pillchen, Samen und breitet all das gern im Restaurant aus und mischt es unters Essen. Am Wasser spart sie und nimmt lieber das hiesige Leitungswasser, geklärt durch ein Tröpfchen Chlor. Sofort nach dem Chlor schüttet sie das Wasser in sich hinein und denkt nicht über Einwirkzeiten nach. Nun ging es ihr gestern ziemlich schlecht und auch mein pflanzliches Iberogast wollte nicht helfen. Der Doktor, zu dem sie mit ihrem neuen Grosspapa Shah ging, den sie mittlerweile Baba nennt, machte einen Bluttest und stellte Typhus fest. Sie sei wohl geimpft, habe aber die Auffrischung vergessen. Mit Antibiotika soll es bald weggehen, allerdings muss sie starkes Fieber und Grippesymptome fürchten. Hm. Keine Sorge, ich trinke a) nur Wasser aus versiegelten Flaschen und b) bin ich geimpft, hab ich extra noch checken lassen. Erstaunlich, womit man hier konfrontiert ist. Es ist zwar eine Reise in die Vergangenheit für mich, aber doch mit einigen Modifikationen. Ganz so war es doch bei uns nie, oder?



Heute und morgen sind also Reisetage, vermutlich werde ich viel Zeit mit Dösen in den verschiedensten Lagen und Orten und der Lektüre des hier gefundenen Wälzers „Shantaram“ von Gregory David Roberts verbringen. Es geht um einen Häftling, der aus dem neuseeländischen Gefängnis ausgebrochen ist und nach Bombay geflohen ist, wo er im Slum lebt und sich in die Schweizerin Karla verliebt. Das Ding hat fast 1000 Seiten und ist ein richtiger page-turner, den Karl und Lorna auch schon verschlungen haben.



Zeit, laufen zu gehen, meine Hotelnachbarn führen schon wieder ihr tägliches Rotz- und Spuckkonzert aus, während ein anderer "Take That" mitjault und pfeift und nebenbe seinen Zigarettenrauch zu uns ziehen laesst. Kavita meint: man muss gar nicht Zug fahren, um das volle Vergnuegen geniessen zu koennen.

1 Kommentar:

Saschi hat gesagt…

Hallo Andrea, schön, dass du so viel erlebst. Der Blog wird immer lustiger und ist immer meine erste Lektüre wenn ich ins Büro komm. Hast du meine SMS bekommen? Grüsse Sascha