Mittwoch, 1. Juli 2009

Couchsurfing along

Invercargill auf, wo ich herzlich von meinen Couchsurfinggastgebern willkommen geheissen wurde und auch gleich zum Klettern in der Halle eingeladen war. Fast wie heimkommen, aber nur fast. Leo hatte sich gemeldet und ich gab ihm Bescheid, dass er nachkommen könnte, auf dass wir über die Vorfälle der Vergangenheit reden können. Er kam per Anhalter und wir trafen uns am Supermarkt. Mager war er, ein bisschen grau und mitgenommen sah er aus. Die Schuldgefühle mir gegenüber hatten ihm zugesetzt und er war gekommen, um sich zu entschuldigen, dass er so ausgerastet ist. Er war bei einem Berater und ging zu Treffen der Anonymen Alkoholiker. Am Abend machten wir uns gemeinsam zu einem solchen Treffen auf und trafen seinen Berater am nächsten Tag, der sehr glücklich war, dass ich Leo nochmal traf. Er hat beschlossen und versprochen, mir gegenüber ehrlich zu sein und nicht mehr zu trinken. Das hat er auch bis heute nicht getan. Wenn er trinkt, wenn er ausrastet oder mich anlügt, ist er weg vom Fenster, ganz klar. Er findet die strikten Regeln hilfreich. So sind wir also wieder zusammen und fliegen am 7.Juli nach Australien. Eine wechselvolle Geschichte, das.

Und da wir beide unser Apfelpflückgeld ausgegeben haben- wie übrigens auch unsere anderen Pflückerbekannten- haben wir beschlossen wirklich und gnadenlos billig zu reisen. Das bedeutet natürlich nicht im Hostel oder sogar auf dem Campingplatz zu übernachten. Aber es ist saukalt, draussen. Couchsurfing hat sich als sehr ergiebig herausgestellt, wir mussten in der nassen Kälte, die der Winter so mit sich bringt, zum Glück nie im Auto schlafen. Nach Invercargill fuhren wir an der Küste entlang die Scenic Route gen Dunedin, das weiter östlich liegt. Wir machten Halt bei Jan und Brian, die wir beim Wandern auf dem Hollyford Track getroffen und die mich zu sich eingeladen hatten. Sie haben ein geräumiges Haus in Kaka Point auf einem Hügel, von wo aus sie das Meer überblicken können. Sie wohnen damit direkt im Gebiet Catlins, wo sie ziemlich beeindruckende Natur vor der Nase haben. Sie fuhren mit uns an den Strand zu Seelöwen, zu denen man direkt hinlaufen konnte und zu einem Leuchtturm, zeigten uns die Seehunde und in der Dämmerung sahen wir die seltenen Yellow Eyed Penguins vom Meer ans Land marschieren, was mich sehr gefreut hat. Sie sind ziemlich gross, hüpfen ein bisschen über die Steine und drehen sich um, auf dass die Partner auch nachkommen. Soll eine Lifetimestory sein, so eine Pinguinliebesgeschichte. Beeindruckend, wie vielseitig Jan und Brian sind. Sie war Lehrerin und malt und verkauft nun ihre Landschaftsbilder, sie bauen Gemüse an, kochen gern und machen ein. Alles fein im Team, man merkt, wie gut sie zusammenspielen. Sie arbeiten ausserdem als Freiwillige für DOC, pflanzen und pflegen Bäume und kümmern sich um die Pinguine. Er arbeitet immer noch in der Landwirtschaft und hilft bei Bauern aus. Sehr warm waren wir willkommen und sie nahmen regen Anteil an unserem Leben. Die beiden gehen auf die siebzig zu und haben doch eine sehr jugendliche Ausstrahlung. Sie haben drei Söhne, die in verschiedenen Bereichen der Welt leben und arbeiten und freuen sich über deren Abenteuerlust und Erfolge. Ich war schwer beeindruckt von soviel Lebenslust und Toleranz.

Leo hatte das Glück, beim Hitchhiken auf Jim zu treffen. Jim fuhr mit seinem Auto nach Hause nach Balclutha, das ungefähr 60 km von Invercargill am Meer liegt. Er nahm Leo mit, der ihm seine Geschichte erzählte. Jim gestand, trockener Alkoholiker zu sein und Leos Geschichte berührte ihn so sehr, dass er ihm helfen wollte und ihn bis nach Invercargill fuhr. Er wünschte Leo viel Glück mit mir und sagte ihm, dass es ihm eine Ehre und Freude war, ihn zu treffen. Leo sei jederzeit in seinem Haus willkommen. Jim ist Anfang vierzig und hat drei Kinder, Elly,13, Jayjay 4 und Zac, 3. Seine Ehe ist in die Brüche gegangen über seiner Trinkerei, seine Frau hat ihn eines Tags aus dem Haus geworfen. Erst verstand er nicht, warum, dann aber machte er sich auf, was zu ändern und ist nun seit über zwei Jahren trocken und glücklich, dass er die Kinder so oft sehen kann. Wir blieben zwei Tage bei Jim in Balclutha, der offen und freundlich über sein Leben erzählte. Er hält sich für nicht besonders schlau und für einen Aussenseiter. Dabei ist er ein herzensguter Mensch, der uns sein Schlafzimmer zur Verfügung stellte und gern auf der Couch schlief. Wir könnten bleiben, so lange wir wollten und wenn wir das Auto verkaufen, na dann könnten wir mit seinem fahren. Er hilft beim Schafescheren und arbeitet in grossen Fabriken, die Essen einfrieren. Er sagt, er weiss, was er zu verlieren hat, wenn er wieder zu trinken hat und im Grunde ist er ein glücklicher Mensch. Er hat sehr viel über sich nachgedacht, das Malen angefangen und schien mir den Kindern ein gütiger und freundlicher Vater zu sein. Ein wunderbarer Mensch, an dem die Bildung ein wenig vorbeigegangen ist. Hätte er sich mehr zugehörig gefühlt, besseren Zugang in der Schule gefunden, sein Leben hätte sicher einen ganz anderen Lauf genommen. Ein altbewährtes Freedom Golf und eine Kochsession mit den Kindern machten den netten Familienaufenthalt perfekt.

Von Balclutha fuhren wir nach Dunedin, liefen auf dem Weg durch einen alten Tunnel, der uns ein echtes Gefühl dafür gab, wie es ist, nur ein kleines Licht am Ende des Tunnels zu sehen. Wir hielten bei freilaufenden Schweinen und spazierten am gewaltig wellenden Meer. In Dunedin waren wir auf Jay und John Nixons Couch willkommen. Wir kamen mit dem obligaten Couchsurfwein an (in meinem ganzen Leben habe ich noch nie soviel Wein gekauft wie in Neuseeland) und wurden von einer sprudelnden Jay in der Nobelgegend Dunedins empfangen. Sie redete viel über undankbare Couchsurfer und allerlei anderes, so dass selbst ich kaum ein Wort unterbrachte. Sie schien nicht viel Gutes zu erwarten, aber trotzdem ehrenamtlich engagiert zu sein. Es schien mir, als wollte sie eigentlich ein schlechtes Weltbild bestätigt sehen, das sie aber dann als die grosse Märtyrerin und die einzig Gute herausstellte. Hier wohnte jedenfalls Geld und sie brach ab einem gewissen Punkt ihren Monolog ab und sagte uns, dass wir nicht auf die Couch müssten, sondern in ein momentan leer stehendes Apartment ziehen dürften. Schlicht und kühl war es dort, wir assen, guckten einen Film und schliefen dort, bevor wir uns bald wieder aufmachten, ein wenig irritiert über soviel unfreundliche Freundlichkeit.

Wieder gings ins Internetcafe, wieder war unsicher, wo wir die nächste Nacht verbringen würde. In der Studentenstadt Dunedin aber gibt es mehr als hundert Couchs, so dass wir zuversichtlich waren. Leo wollte zu Miguel, einem jungen spanischen Musiker, der nur sehr wenig Englisch spricht. Seine Freundin antwortete sofort auf meine kleine unbeholfene Anfrage auf Italienisch (ich kann spanisch lesen, da kann der Spanier bestimmt auch italienisch lesen, dachte ich mir offenbar ganz zu Recht). Sie ist Australierin und lebt mit Miguel in einem Haus am Stadtrand- Wohnung hat man hier nicht so, selbst Leute, die Sozialhilfe beziehen haben Häuser, normalerweise mit mehreren Schlafzimmer. Saukalt isses da, ohne Isolierung und Doppelverglasung und Zentralheizung. Man heizt mit kleinen Elektroheizerchen und offenen Feuern, die unterschiedlich effizient sind. Dazu gibt’s meistens eine Heizdecke, die ich gerade noch als unter meiner Würde ansehe. Noch. Dort hatten wir wieder die rechte Coucherfahrung, wurden zum Bohnensüppchen zu unseren Ehren, gebraut von Miguel eingeladen, in ein nicht ganz taufrisches Zimmer auf eine Matratze verfrachtet, plauderten lange mit einem anderen Gast und guckten eine DVD. Sophia hat Soziologie studiert und macht nun eine Ausbildung zur Schreinerin und arbeitet nebenher als Eislauflehrerin. Miguel unterrichtet Musik und lernt Englisch. Es schien fast, als wollten sie uns nicht gehen lassen.

Wir mussten aber früh los, da ich mich in einer Steiner Schule eingeladen hatte. Wenn ich Lehrer werden will, denke ich, sollte ich wissen, ob ich wirklich eine staatliche Schule will, oder ob ich die alternativen Schulen nicht doch sinnvoller finde. Mein Vormittag dort hat mir sehr gefallen. Die Schule ist sehr schön auf einem Hügel beim Meer gelegen und die Kinder sind dort vom Kindergarten bis vierzehn. Eine Schülerin erzählte mir gleich ungefragt, wie gern sie in der Schule ist. Sie schienen alle sehr glücklich, lernen Maori, Schwedisch und Französisch, haben Bewegung, spielen Theater, malen und singen, rezitieren grosse Textmengen auswendig (Steinerlieder und Literatur gleichermassen) und sind auch mathematisch recht fit, soweit ich das gesehen habe. Sie arbeiten gut zusammen, kommen bunt und gar nicht in Marken gekleidet in die Schule und reden freundlich und respektvoll miteinander. Lee, einer der Lehrer, der eine lange Obstpflückkarriere hinter sich hat, bevor er das Lehramt anfing, meinte, sie seien reifer als andere Schüler. Ich fand es toll, wie ernsthaft und wirklich interessiert sie an die Dinge gingen und mir sogar einen Haka, einen Maoritanz, vorführten. Der Besuch hat mich zum Denken gebracht. Schule scheint ihnen Spass zu machen. Ob sie genauso viel lernen und das lernen, was ihnen nützt, kann ich noch nicht gut beurteilen. Ich fühlte mich jedenfalls sehr wohl in dieser Umgebung. Schule ist das Richtige für mich, da bin ich ziemlich sicher.
In Dunedin sahen wir russische Kunst und trafen im Buchladen auf einen Anwalt, der uns unbedingt auführen wollte, einfach so offenbar, weil er ein wenig einsam war. Nicht ganz sozial angepasst, wie es scheint, schick gekleidet und freundlich und im Grunde schüchtern. Wir mussten das Angebot ausschlagen, waren wir doch bei Miguel zum Essen geladen. Dunedin hat wunderbare second hand shops und ich stattete mich für 15 Dollar mit Markenklamotten aus und liess die alten Rupfen hinter mir. Und dann gibt es viele verstaubte, verbücherstapelte Gebrauchtbuchläden mit Klassikern und Philosophieschätzen und anderen Entdeckungen. Leo kommt auf den Geschmack und will gar nicht mehr aus den Buchläden und Bibliotheken, wenn wir erst mal dort sind. Wir guckten in der städtischen Galerie Frances Hodgkins und schräge russische Kunst mit vielen nackten Menschen an und vergassen ein wenig die Zeit, was leider leider zu einem 45 Dollar Parkticket führte. Seufz. Ist mir mit dem Fahrrad nie passiert.... Cadbury Schokolade produziert in Dunedin und ich machte eine Firmenführung. In grossen Säulen wird Schokoladenmasse gespeichert und von dort durch die verschiedenen Maschinen geschoben. Da ist erstaunlich viel Handarbeit dabei. Einen Gag hatten sie am Ende eingebaut- Eine Tonne Schokolade fiel im Turm nach unten und spritzte mächtig. Das Ganze nennt sich Schokoladenwasserfall.

Am Abend fuhren wir nach Seacliff weiter, wo Sascha mit seiner Freundin mit kompliziertem irischem Namen und den zwei Hunden Britney (gross und kurzhaarig) und Stevie (2 kg, sehr umtriebig) und einer Maus namens Stuart wohnt. Stuart lässt die Vorräte weitgehend in Ruhe und wird daher geduldet. Sascha hat mit uns Äpfel gepflückt und uns eingeladen, gern mal zu kommen, wenn wir in Dunedin sind. Seacliff liegt 28 km ausserhalb nördlich, Richtung Christchurch, von wo wir abfliegen werden. Die Frau mit dem nicht zu buchstabierenden Namen arbeitet als Friseuse, er nimmt verschiedene Arbeiterjobs an, vom Strassenbau zu den Äpfeln- was gerade so kommt. Die beiden scheinen sehr entspannt, rauchen gern ein wenig Selbstangebautes und lassen uns gemütlich hier wohnen. Wieder die Flasche Wein, wir kochen, sie schnitt uns die Haare, wir sehen die Gegend. Leider ist es sehr kalt und Sascha hat sich beim Surfen das Sprunggelenk verzogen, so dass mein Sport nicht das Surfen, sondern das Laufen ist. Da bin ich ziemlich unfit- was will man machen. Die letzte Woche fühlte ich mich nicht ganz auf der Höhe mit dem Verdacht, beim Trinken der Bachwässerchen Giardiasis aufgeschnappt zu haben. Das ist ein Bazillus, der die Verdauung ins Schleudern bringt, sich aber nach zwei bis vier Wochen auch ohne Behandlung aus dem Staub macht. Ich habe mich aufs gemütliche Schwimmen und Aquajoggen (Gürtel umsonst, Bahn schön eingerichtet und das alles für zwei Dollar) in warmen Pools, Spaziergänge und Warten verlegt.

Von hier gehen wir nach Oamaru, hoffentlich auf eine weitere freundlich angebotene Couch. Es ist spannend, so zu reisen, abwechslungsreich und sehr heimisch. Sophia meinte, das Couchsurfen hätte ihr das Vertrauen in die Menschheit wiedergegeben. So oft sind es die Leute, die selbst nun wirklich nicht viel Geld haben, die einen einquartieren, bekochen, abholen und von Herzen willkommen heissen.

Mir fehlt das Lesen und die geistige Herausforderung, da wir eigentlich ständig am Reden und Socialisen sind. In Sydney haben wir uns eine Couch organisiert und werden sofort nach Ankunft auf Jobjagd gehen. Uns geht das Geld aus und ausserdem will ich einfach wieder arbeiten. Eine regelmässige Betätigung, das hat schon was. Mal sehen, was so eine grosse Stadt mit zweimal soviel Einwohnern wie ganz Neuseeland zu bieten hat.

Das Reisen ist spannend, ich mache es gern, aber nicht ein Leben lang. Nicht immer in totaler Geldknappheit sein und einen Ort zu haben, zu dem man täglich zurückkommt und vor allem einen Beruf zu haben, zu dem man gerne wieder geht, das ist auf Dauer doch erfüllender. Und freilich vermisse ich mein liebes soziales Umfeld.

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