Donnerstag, 18. Juni 2009

Was ist schon anstrengend?











Dem Matsch entstiegen- ein neuer Mensch. Naja, ein bisschen viel Drama, das. Mal ganz langsam und von vorne. Da ich schon mal auf Stewart Island war, wollte ich natürlich auch was sehen und das tue ich gerne wandernd. Gavin meinte, wenn ich wirklich was sehen will, müsste ich schon ein bisschen mehr als die drei Tage Rakiura Walk machen. Das ist ein weiterer der sogenannten Great Walks, sehr schön beschildert und mit vielen Stegen für den pässlichen Tritt. Und da gibt es den Klassiker, die längste Wanderung Neuseelands und, wie ich nun weiss, ganz sicher eine der wirklich härteren. Zehn Tage North West Circuit. Mit legendären Schlammmassen (schon das Wort!), anständigen Steigungen und 125 km Strecke. Ich war ein wenig naiv, dachte, die Wege seien wie auf all meinen anderen Wanderungen. Da ist schon mal Dreck am Schuh kleben geblieben und es ging über ein paar Würzelchen, aber das, nein, das...

Gavin fuhr mich am 9. Juni um dreiviertel sieben an den Start des Tracks, der auch der Anfang des Great Walks ist. Als ich den nach drei Stunden freudigen Spazierens hinter mir liess, war ich nach kürzester Zeit knietief im Morast, gnaaaatsch, gnaaaatsch. Und da voran zu kommen, kostet Zeit und Kraft. Nach sieben Stunden war ich an der ersten Hütte, der Bungaree Hut, herrlich am Meer gelegen. Nach einer Stunde kamen zwei weitere Wanderer an, Ben und Adam, beide 24. Ich hatte mich auf Einsamkeit eingestellt, nun hatte ich Gesellschaft mit genau dem gleichen Plan für die gleiche Zeit. Die beiden waren wenig gesprächig und meine Freude hielt sich in Grenzen, zumal sie sich wenig um Feuerholz kümmerten. Hat sich auch alles während der zehn Tage nicht geändert. Aber ich lief alleine und stellte bald fest, dass ich mir mächtig was vorgenommen hatte. Essen für zehn Tage und die üblichen Wanderutensilien auf dem Rücken hatte ich mich durch einige Bäche zu kämpfen, an Wurzeln hochzuziehen und sogar manchmal an Seilen durch den Schlamm abzulassen. Aber ich bin stur, hatte beschlossen, das durchzuziehen, also liess ich nicht locker und motivierte mich brav. Ich dachte, das Apfelpflücken hätte mir Gelegenheit gegeben, über mein Leben nachzudenken. Jetzt aber hatte ich erst so richtig die Chance. Leo, meine Eltern, meine Freunde, meine Zukunftspläne und Erinnerungen bildeten meinen Film. Dreissig Jahre- da gibt’s viel mehr Stoff als von mir erwartet. Das ist ein wenig so, als würde ich in den hintersten Ecken einer Rumpelkammer kehren. Ich dachte, es würde nicht mehr schwieriger kommen als durch Matsch und Hügel von Hütte zu Hütte, bei Beginn des Tageslichts um acht los und unbedingt bis um fünf wieder dort, wenns dunkel wird. Dazwischen Wasser und ein Müsliriegel. Die angegebenen Zeiten von sechs bis acht Stunden Wandern überschritt ich oft, einfach, weil mich der Matsch gefangen hielt. „Nicht schauen, nicht denken, laufen!“ hab ich mir wohl zehnmal am Tag gepredigt.

Am siebten Tag strebte ich nach der Big Hellfire Hut die Mason Bay Hut an. Ein stürmischer, regnerischer Tag, mit Hagel und kalt dazu. Ich war fasziniert vom wilden Meer und den knarzenden Bäumen. Als der Track am Strand entlang ging, fand ich bald heraus, dass die Flut mächtig bis über meine Knie herschwappte und ich fürchtete, einfach in den Berg geschoben zu werden, der da steil aufragte. Ich guckte ein bisschen verzweifelt nach der Hütte, die aber lange noch nicht in Sicht war. Eine Stunde Tageslicht hatte ich noch. Ich malte mir aus, was mir schlimmstenfalls passieren könnte. Nun, dachte ich, eine Nacht draussen, unter einem Busch, in meinem Bivacksack mit all meinen noch trockenen, warmen Klamotten bekleidet. Das letzte bisschen Tageslicht nutzte ich, um den rechten Busch zu finden und setzte meinen Bivackplan um. Schlafsack in den mitgeführten Müllsack, das ganze in den Bivacksack. Die Jacken dienten als Unterlage und der Rucksack wurde zur Matte umfunktioniert. So lag ich am Hügel im Hagel und harrte aus. Von sechs Uhr abends bis um acht in der Früh döste ich, checkte, ob noch alles einigermassen trocken war und ich nicht am Hügel abrutschte, lauschte den mächtigen Wellen und dem Hagel und guckte stündlich auf die Uhr. Es war kühl in meinen Hüllen aber nicht eisig in der doch sehr kalten Nacht. Meine Ausrüstung hat sich voll bewährt und ich war erleichtert, dass letztlich alles doch recht unproblematisch war. Zwar war ich noch dreckiger und alles etwas feucht, aber ein gutes Feuer in der nächsten Hütte hat den Schlafsack trocknen lassen und mich wieder ganz auf die Bahn gebracht. Ein Abenteuer, das mich ein wenig hat bangen lassen. Aber ich freute mich, nicht panisch zu werden, sondern ruhig geblieben zu sein und das Beste aus der Situation gemacht zu haben. Wenns schwierig wird, kann ich mich auf mich verlassen.

Auf dem Weg gab es immer wieder Gesellschaft. Roland, einen unfassbar fitten Wanderer in der anderen Richtung, der mir seine Zahnbürste schenkte, da mir meine aus der Tasche gefallen war. Und vor allem zwei Gruppen Jäger, die sehr zünftig und lustig waren und mich mit ihrem eingeflogenen und erbeuteten Essen fütterten. Da gabs auf einmal Bacon and Eggs zum Frühstück, Paua Muscheln und Blue Cod zum Abendessen und Rehgulasch bei der anderen Gruppe. Einer schenkte mir sehr gute Wandersocken, die ihm zu klein sind und sie gaben mir Vitaminsprudeltabletten mit auf den Weg, die ich mir so sehnlich vom Universum gewünscht habe. Die Krönung war die kalte Dusche, die sie installiert hatten und mir zur Verfügung stellten. Ich bin sehr dankbar über soviel Menschenliebe und fühlte mich gleich sehr geborgen bei soviel Fürsorge. In der vorletzten Hütte trafen wir auf DOC- Leute, die mir erzählten, dass es gar nicht so ungewöhnlich sei, dass Leute im Freien übernachten, wo die Flut bei Mason Bay herbrandet. In der letzten Hütte gab es Felsen am Meer, von denen wir bei Ebbe Miesmuscheln zum Abendessen pflückten. Mhm, ein Fest!

Ein Jäger hatte mir erzählt, dass ich am Strand Handyempfang haben könnte. Ich sprach kurz mit Leo, der sich wild entschuldigte für seine haarsträubende Geschichte und momentan wieder weg vom Rauchen und Trinken hin zum Laufen kommt. Er will übers Meer schwimmen, um bei mir zu sein. Verrückter Kerl. Und klar: ich vermisse ihn...

Als ich letztlich heute am zehnten Tag in Oban mit meinem Wanderstock einlief, vollführte ich ein Freudentänzchen, setzte meine Tarnmütze auf meine dreckverklebten Haare und freute mich über soviel nette Mails von Euch. Vielen Dank! Ich wusste schon, warum ich mich darauf gefreut hab! Zehn Tage im Busch, mit Kiwis, dem kleinen Vogel Tomtit, den Fantails, den melodiereichen Tuis, den Manukabäumen, den vielen Farnen und Bächen, in den Bergen und am Meer. Für meine hundert Euro Futtergeld hatte ich wirklich ein phantastisches Abenteuer und jede Menge Zeit zum Nachdenken. Zweifel, ob ich das packe und letztlich die Zuversicht, dass alles gut geht. Wenn ich mir etwas wirklich ersehnte wie diese Vitamintabletten hab ichs gekriegt. Ich bin sehr dankbar für die Zivilisation, die Chips, Kekse und Milch, die ich mir gegönnt habe. Die warme Dusche, die Waschmaschine, den warmen Ofen und das elektrische Licht. Ich feiere das Leben und sehe sehr klar, wie gut ein bisschen Verzicht tun kann. Langweilig war mir nie, auch wenn ich an ganz andere Dinge als gewöhnlich dachte. Warm, trocken, ankommen, schlafen, essen- worüber sollte ich mir sonst Sorgen machen?

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