Donnerstag, 29. Januar 2009

Und was soll das bringen?






Dreimal habe ich in Governors Bay geträumt, ich wäre wieder in Deutschland, viel zu früh und wünschte mir im Traum, ich würde nur träumen. Natürlich schien alles furchtbar real und ich konnte mich nicht davon überzeugen, nur zu träumen. Erst das Aufwachen in der Früh brachte Erleichterung. Aber vielleicht war es ein Zeichen, dass ich nun mal wieder weiter sollte. Es passiert zu leicht, dass ich mich einlebe, bequem werde und zu schätzen lerne, was ich momentan habe. Dabei will ich doch Neues erleben. Ich will mir hier schliesslich ganz verschiedene Gegenden und Lebensformen ansehen. Natürlich kann man nie sagen, man kennt eine Gegend oder einen Menschen durch und durch. Aber um einen Eindruck zu kriegen und die Dinge zu hören und zu sehen, die wirklich zentral scheinen, reichen ein paar Tage normalerweise..

Das Konzept, dass man bei meinem Schokoladenwwoofen in Governors Bay nicht nach der Uhr arbeitet, sondern einfach, weil man es liebt, hat für mich bedeutet, dass ich fast nonstop gearbeitet habe. Die Arbeit war vergleichbar mit der einer Mutter mit vielen Kindern, würde ich sagen. Ich habe die Sisyphosarbeit übernommen, das Haus zu reinigen, von den Fenstern zum Boden, von der Küche ins Bad, von der Terrasse in den Garten, ich habe Unmengen Waschmaschinen gewaschen und Stunden mit dem Sauger, dem Besen und dem Wischer verbracht, jeden Tag wieder und nebenher Kinder bespasst und teils davon abgehalten, dass sie sich gegenseitig Ernsteres antun. Erstaunlicherweise war es dennoch eine etwas einsame Wwoofingerfahrung. Mutter von vielen sein ist durchaus eine Aufgabe, zumal, wenn die Kinder kleiner sind. Und irgendwie sieht so recht dann doch keiner, was man den ganzen Tag tut. Mütter dieser Welt, Ihr habt in mir eine Verbündete gefunden! Und Partner dieser Frauen: ein einfaches anerkennendes Lob, wie gut es doch aussieht oder wie gut das Essen ist, macht schon den Riesenunterschied! Oonagh, meine eigentliche „Chefin“ hier, die das Cafe managt, war vermutlich einfach zu müde nach Arbeit und Kinderbetreuung, sich auch noch mit mir zu unterhalten. Vielleicht haben wir uns aber auch einfach nicht viel zu sagen. Einige Zeit habe ich auch in der Schokoladenküche verbracht, auch dort geputzt, durfte dann aber auch naschen und sah, wie man Schokolade behandeln muss, damit sie auch wirklich hübsch als Pralinchen aussieht (mit dem Nebeneffekt des guten Geschmacks freilich).
Die einfachen Tätigkeiten an sich sind aber gar nicht weiter schlimm, sofern ich mir was zum Denken mitnehme. Wohlarrangiertes Grübeln passt wunderbar zum Kloputzen und der Schrecken vor solchen Tätigkeiten ist bei mir fast ganz verschwunden.

Als ich hier nicht mehr verheimlichen konnte, dass ich Philosophie studiert habe, wurde ich von Asiim (der klassische Komposition studiert hat) über den praktischen Nutzen eines solchen Fachs befragt, wobei dann von seiner Seite rauskam, dass die spirituelle Seite wohl zu kurz kommt und es sich um einen sinnlosen Selbstzweck handelt. Überzeugt hat ihn aber dann wohl doch ein wenig, dass ich meinte, wenn man schon denken will, dann ist es doch schön, wenn man es ordentlich macht, so wie es doch auch schöner ist, wenn man gut surfen kann und nicht nur rumstümpert. Da war er dann erstaunlicherweise zufrieden. Grosses Motto scheint hier zu sein, das sogenannte Chaos leben zu lassen, die Liebe zu betonen und bitte nicht strukturiert zu denken. Nun ja, da bin ich halt doch ein wenig anders. Der Guru macht einen gewissen Bogen um mich und nimmt selbst einfache Fragen zum Anlass, die Tiefe seiner Überlegungen zu demonstrieren und reagiert natürlich brüskiert, als ich ihn frage, ob er Philosophie studiert hat. Wenns dann aber ums Cafe geht, gibt’s doch wieder ganz feste Regeln und Zeiten. So ganz frei und nur mit Liebe scheints halt doch nicht zu laufen...

Ich habe festgestellt, dass es meine eigene Schuld ist, wenn ich mir nicht frei nehme und nicht die Gegend erkunde oder einfach die Landschaft von der Terrasse aus lobe und lese. Ich bin schliesslich hier keinen Vertrag eingegangen. So fuhr ich vorgestern nach Christchurch und genoss die wunderbare Bücherauswahl im schnuckligen Scorpio Books und bei der nur scheinbar sehr ernsten Dame in einem der Secondhandläden und lachte mich schief bei Sam Wills, einem Streetperformer, der herrlich unverschämt mit dem Publikum umsprang und bei Regen mit einer „let's do it anyway“ Begeisterung nachhing. So musste Jim aus Canada sich das Hemd ausziehen lassen bevor Wills eine Gurke mit seiner Machete auf dessen Bauch zerlegte und ein paar Passanten durften sich als Stalker beschimpfen lassen. Rumwandern und in den Buchläden festhängen ist unfassbar entspannend. Keine schreienden Kinder...

Ich gucke vor allem interessiert durch die Abteilungen mit Reiseliteratur, die immer recht gross sind. Hab ich schon geschrieben, dass Neuseeland das Land mit der höchsten Mensch-Buchladen-Quote ist? Alle 7800 Menschen hier haben einen Buchladen. Und zwar gar keinen schlechten nicht. Im kleinen Küstenstädtchen Lyttelton, 8 km von hier, ist z.B. ein Secondhandladen, der einfach traumhaft ist. Klassiker, Auswahl in allen Gebieten, eingerichtet mit schlichten weissen Regalen- Charme durch und durch. Jedenfalls sieht man in der Reiseabteilung so allerhand, womit die Leute gelesen werden wollen. Brian Thacker couchsurft durch die Welt, irgendein schlechter Schreiber jagt den Wellen nach, eine Kate reist durch die Welt mit 60 nach dem Motto SKI (spending the kids' inheritance), ein Typ schwimmt überall in Grossbritannien, wo man nur irgendwie schwimmen kann und Joe Bennett hitchhiked durch Neuseeland, um rauszufinden, was ihn als Briten denn nun eigentlich hier schon seit fünfzehn Jahren hält. Und Bill Bryson hat kein Motto, ist dafür aber umso lustiger und hat zudem immer noch ordentlich recherchiert. Ich frage mich, mit welcher Story ich da reinpassen könnte. Schreiben und reisen scheint mir schliesslich schon die ideale Kombination und erleben tu ich hier ja nun auch einiges. „Und was soll das bringen? Die analytische Philosophin bereist die Welt“- das gibt’s immerhin noch nicht, oder so hoffe ich zumindest.

Bennett listet all die Vorurteile auf, die er über die Jahre gesammelt hat und ich muss schmunzeln, genau diese Eindrücke hab ich Euch schliesslich auch schon beschrieben:

Is there anything distinctive about New Zealanders? […] What about the vaunted practicality, the no-nonsense earthiness, the number-eight-wire ingenuity [irgendsoein Kabel, mit dem sie hier alles reparieren zu können behaupten], the rugged independence, the compulsion to travel, the willingness to work hard?“

Und was ob seiner tiefen Wahrheit auch einfach herrlich ist:
„When I use the word motorway you shouldn't think motorway. On the approach to a city it may become four lanes, and even perhaps with a median strip, but five miles out of the city the motorway reverts to something to which most countries would ascribe a less imposing title. Road, indeed, would cover it nicely.“

Ein bisschen gross tun ist hier bei einigem dabei. Da werden einem z.B. die Städte angepriesen und die Architektur gelobt. Dabei ist da nicht viel mit Architektur (die Briten sind hier auch erst 1850 angekommen, wenn ich mich recht erinnere, da ist also noch nicht soviel Zeit zum Aufbauen gewesen). Wenn ich an die europäischen Städte denke, fällt mir vor allem das Wort „dicht“ ein. Da gibt es französischen Käse im einen Laden, dann Tee aus China nebenan und viel H und M und Ikea. Hier ist die Auswahl an fast allem weit überschaubarer und Barock und Gotik gibt es halt nicht und Bilder natürlich auch nicht so viele. Natur und nur ein bisschen Kultur, das ist im Kern die Entscheidung, die man trifft, wenn man von Europa nach Neuseeland kommt.

Nun, weiterlesen kann nicht schaden, mein Geist hungert ein wenig. Ich werde mich durchs durchaus interessante Standardwerk über die neuseeländische Geschichte von Michael King graben und mich weiter mit Bennett amüsieren und dann zu Barry Crump, dem wilden Jäger und Fischer übergehen, der hier auch Kult sein soll. Und ihr müsst die Früchte dieser Studien ertragen, wenn Ihr wirklich fleissig weiterlest.

Eine weitere tolle Sache hier sind die Op (opportunity)- shops. Die Leute geben ihre alten Sachen ab und man kann sie dann für einen Appelunei erwerben. So kam ich zu meinem Neoprenanzug für lächerliche 25 Dollar, zu einem Buch und einer trefflichen Boxershort. Schätze, nichts als Schätze!

Nun geht es über Arthur's Pass morgen zurück an die Westküste, wo ich Dave Scott, Dan, Kath und Shea und John zu seinem Geburtstag wiedersehen kann. John freut sich schon viel zu sehr auf meine Wiederkehr, ich werde ihn bremsen müssen. Er hat extra für mich den Rasen gemäht und das Haus aufgeräumt (beides kann selbst bei laxen Standards zwar überhaupt nicht schaden, aber doch nicht für mich!) und will mit mir mit dem Helikopter irgendwo zum Wandern hinfliegen. Neues Jagen, neue Quellen und damit wieder Action der Outdoorart und womöglich ein Job in der Franz Josef Touribranche.

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