Donnerstag, 22. Januar 2009

Schokoladige Leidenschaft




Jane Buxton habe ich nun wieder verlassen. Vorher hat sie mich zu einer Landmarksitzung mitgenommen. Landmark wurde von einem Amerikaner erfunden und scheint zumindest hier sehr populär zu sein. Es ist eine Art Riesenpsychogruppe, die versucht, die eigene Vergangenheit vollständig ad acta zu legen und neue Möglichkeiten für jeden zu schaffen. Man nimmt sich einfach einen Lebensbereich vor, denkt darüber in ein paar Schritten nach, mit ein paar Lebensweisheiten aus den verschiedensten Selbsthilfebereichen und schon wird alles gut. Für einen dieser Wochenendkurse zahlt man 625 neuseeländische Dollar. Das Versprechen ist, dass man im Gegenzug ein komplett neues Leben bekommt. Klingt natürlich gut und vor allem sind die Landmarkies unglaublich enthusiastisch auf Leutefang. So war ich also bei einer der Abendsitzungen dabei und sollte als Neuling angeworben werden. Man schreibt auf, was gerade nicht so gut läuft, überlegt sich, wie sich das genau anfühlt und überlegt sich dann, wie es sich anfühlen würde, wenn dieser Bereich gut laufen würde. Und schon dadurch hat man Schritte gefunden, wie man sein Leben ändern kann. Ich habe herausgefunden, dass sich ein anderes Leben leidenschaftlich anfühlen würde und dass ich mich eigentlich nur entscheiden muss, leidenschaftlich zu sein. Und das gilt freilich für alle Lebensbereiche. Nun, ich glaube, ich kann auch ohne Landmark ganz gut weitermachen.

Zudem heute ein Guru in mein Leben getreten ist... Jane und die Llamas habe ich in der Früh verlassen. Sie vereint das Intellektuelle mit dem Praktischen, ist sehr resolut und weiss genau, was sie will und was nicht. Das hat seine angenehmen und für den wwoofer auch weniger erspriessliche Seiten: Sie ist sehr penibel, was die Blättchen in ihrem Garten anlangt und liess mich den Wohnwagen zweimal mit dem Besen ausfegen. Sie duldet keinen auch noch so kalten Topf auf ihrer Holzarbeitsfläche und ermahnt einen sehr genau, wenn man den Wasserhahn vermeintlich zu fest zudreht. Da kann sie dann schon mal sehr belehrend werden.

Nun bin ich in Governor's Bay in der Nähe des kleinen Städtchens Lyttelton gelandet. Ich wwoofe hier bei „She Chocolate“, was meinen figurtechnischen Untergang herbeiführen könnte, wenn ich nicht wirklich aufpasse... Hier werden herrliche Pralinen produziert, ich helfe in der Schokoladenküche und erfahre viel über die geliebte Schoki. Besonders spannend ist, dass Oonagh, die Managerin des Ganzen, die mich hier aufgenommen hat, wirklich ganz anders orientiert ist als viele andere. Sie findet es schon gut, wenn ich im Haus helfe, aber sie schaut nicht auf die Uhr, wie lange ich arbeite und ich kann mir auch einfach einen Tag freinehmen, wenn mir danach ist. Sie meint, alle würden hier arbeiten, weil es ihnen Spass macht und alles andere sei nebensächlich. Oonagh ist Irin, hat früher irgendwie im Computerbusiness gearbeitet und ist irgendwann gereist. Hier hat sie als Geschenke feine Pralinen gemacht und Freunde haben sie ermutigt, daraus ein Geschäft zu machen. Das hat sie getan und kocht und kreirt nun selbst, voller Begeisterung für herrliche (belgische) Schokolade. Zwei Chocolatiers, eine gelernte, eine angelernte aus Schweden, helfen ihr dabei. Die Stimmung des Cafés ist wunderbar und die Pralinen sehen köstlich aus und sind es auch. Es ist viel los und alles scheint gut. Sie will, dass ich mich hier wohlfühle, teilnehme und wir voneinander lernen. Insgesamt leben hier fünfzehn Erwachsene und acht Kinder, verstreut in mehreren Häusern und dann gibt es eben noch die abendlichen Sitzungen mit dem Guru. Bei einer dieser Sitzungen war ich gestern und es hiess, es ginge um Familie und Freundschaft und Beziehungen. Um all das zu illustrieren, wurden kurzerhand zwei Buddhas vom Schrank geholt, die Schüler gruppierten sich um den Lehrer auf den Boden und gaben hie und da Seufzer der Erhellung von sich, wenn da von der grossen „oneness“ geredet und weiter eher wild assoziiert wurde. Es wurde auch gelacht, was die Sache etwas erleichterte, aber es war dennoch zu spüren, dass man gut daran tut, die Tieeeeefe der Erläuterungen in sich aufzusaugen. Nun ja, Philosophie studiert zu haben könnte bedeuten, dass man für einige tiefe Dinge nicht mehr so recht zu haben ist.

Was mich aber dennoch nachhaltig ins Denken gebracht hat, ist das folgende: da ich offenbar sichtbar müde nach der Belehrung war, bot mir Oonagh an, mit ihrem Auto nach Hause zu fahren. Erst fand ich es nicht im stockdusteren Garten und als ich es doch fand, hatte ich meine Probleme mit der riesigen Familienkarre und deren Automatikschaltung. Ich fuhr ausgesprochen vorsichtig zurück und fuhr wohl auch leicht irgendwo an, was mich aber nicht weiter irritierte. Nach einer Weile konnte ich das Riesending gut heimmanövrieren, wo ich es sicherheitshalber kontrollierte und eine ordentliche Delle in der Stossstange entdeckte. Oh Gott, war da das Entsetzen gross! Wegen genau solcher Dinge hatte ich nie ein Auto- einfach viel zu viel Stress. Ich konnte mir zwar nicht recht vorstellen, dass ich derart gecrasht war - das merkt man doch- schlief dann aber dennoch recht kurz und eher unruhig. In der Früh beichtete ich sofort und meinte, es könnte sein, dass ich ihr Auto zerkratzt hätte. Sie zuckte nur die Achseln, das sei ihr ganz egal, das Auto sei ihr nicht wichtig. Nun ist es halb drei und sie hat sich noch nicht einmal die Stossstange angeschaut. Ich bin weiter etwas nervös und vor allem erstaunt. Ich sah schon grosse Kosten auf mich zukommen, aber nichts dergleichen. Nicht einmal eine Rüge. Und ich habe ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht arbeite. Aber ich muss ja nicht, alles ist ganz locker und lässig. Die Kinder sind nett und lustig, wir toben und es geht um Spass, Freundlichkeit und Zuneigung. Vielleicht werden diese Schokoladen hier wirklich mit purer Leidenschaft gemacht und die grosse Gelassenheit ist einfach allgegenwärtig. Das bin ich nicht gewöhnt. Wo ist das Überwachen und das Strafen? Hier gibt es also wieder sehr viel zu erfahren. Ich frage mich, ob eine solche Kommune durch einen spirituellen Leiter wie unseren Guru Brian Prior zusammengehalten werden muss, oder ob es auch so funktionieren kann. Funktioniert das überhaupt auf Dauer? Ich bin skeptisch. Was passiert mit Eifersüchteleien, was mit Anspruch auf Eigentum? Arbeitet wirklich jeder freiwillig? Wenn ja, könnte sogar das Konzept des Grundeinkommens aufgehen. Jeder bekommt Geld und macht dann, was er will und worin er glaubt, besonders gut zu sein. Ein wunderbares Experiment!!!

Es fügt sich für mich vieles zusammen. Ich merke, was ich auf meiner Reise lernen wollte und wie ich meine Lektionen tatsächlich nach und nach lerne. So vieles, was ich als selbstverständlich angenommen habe, wird hinterfragt. Wie Menschen zusammenleben, nämlich z.B. in Gruppen und nicht nur in Paaren, wie sie arbeiten, diszipliniert oder einfach nur mit Freude, worauf Menschen Wert legen, nämlich auf Geld, Besitz, Macht oder auch auf all dies gelassen verzichten. Vieles davon habe ich bereits gedacht und gehört, nun erlebe ich es. Es sind so viele praktische Lektionen, von denen ich profitiere und das Konzept, nun sozusagen vom Leben zu lernen, geht vollständig auf. Es ist nicht so wichtig, was man macht. Es kommt darauf an, dass man es mit Leidenschaft tut und den Platz findet, an dem man gut beitragen kann. Ich glaube, ich finde für mich heraus, dass es das Lehren ist, das besonders gut zu mir passt. Erfahrungen und Wissen weitergeben, das sollte den Unterschied für mich machen. Vor allem ist mir der Gedanke überhaupt kein Grauen, immer wieder mit Menschen zu tun zu haben, ganz im Gegensatz zu dem Gedanken, in einer Firma an einem Schreibtisch zu sitzen. Gefunden werden, das hat doch was! Erst mal werd ich aber noch ein Pralinchen aus der Box finden, die extra für mich auf dem Kühlschrank steht. Wie hab ich das verdient???

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