Montag, 20. April 2009

Frostelich, aber nur wettermaessig





Jetzt wird es schon richtig kalt hier. In der Früh ist alles mit Reif überzogen und die Äpfel sind eiskalt, wenn wir sie dann doch um frühestens neun oder zehn pflücken dürfen, so dass ich weisse Arbeitshandschuhe aus dem omnipräsenten Allesdandler „the warehouse“ trage. Gelbe Blätter fallen von den Bäumen und es ist wirklich herbstlich geworden, so dass wir brav unser Feuerchen in unserem Cardboardhäuschen anzünden und uns zusammenkuscheln, wenn wir nicht gerade um Kleinigkeiten wie das rechte Käsereiben kabbeln. Meine Hände sind täglich voller kleiner schwarzer Dörnchen, die ich mit der Nadel herausziehe und die Zeigefinger rissig und rau. Arbeiterhände sind das geworden. Ich weiss genau, wann das Wetter wie war und bin fast wie ein Farmer abhängig von den natürlichen Gegebenheiten. Wenn die Jugend über die Bande schlägt mit Drogen, Alkohol und Bandenkriegen und den Respekt vor allem und jeden verliert, solle man sie raus aufs Land schicken, der Natur ausgesetzt, meint Jay Griffith in ihrem „Wild“ und ich glaube es ihr. Das tägliche Draussensein verändert den Charakter und macht ein bisschen ehrfürchtig.

Aber weder der Bellbird, der uns mit seinem nananana! Gepfeife aufzuziehen scheint, noch der Fantail, der uns aus der Nähe mit einem Pfeifvortrag mit schiefgelegtem Kopf über korrektes Pflücken belehrt, lassen sich von der Kälte irritieren. Langsam gehen uns auch die Äpfel aus. Nach einem zweiten Fuji-Pick (japanische Äpfel, die mit einer Ananas gekreuzt wurden und tatsächlich auch so schmecken) und einer weiteren Runde Braeburn, sind wir nun an grossen roten Pacific Roses. Leckere Äpfel, die sich auch gut pflücken lassen und hier sehr beliebt sein sollen, nur leicht verkratzen sollen. Dann erwarten uns noch die Granny Smiths, die auch leicht braune Druckstellen kriegen. Mit verschiedenen Taktiken heitern wir unseren Tag auf: kleine Raufereien und Apfelwerfen aus dem Hinterhalt, über die Bäume gebrüllte Unterhaltungen und vor allem die beliebten Wettkämpfe- wie schnell können wir unsern Bin füllen, wer füllt seinen schneller, wer ist öfter und schneller auf der Leiter? Manchmal packt mich dann am Nachmittag ein zweiter Schwung und wenn Leo schon heimgegangen ist, pflücke ich noch einen Rekordbin mit Musik, lautem Mitjohlen, geistig meilenweit entfernt von den Äpfeln, fast ein bisschen in Trance. Leider büsst meine Lauferei dann und ich habe das Gefühl, fett und unfit zu werden. Jetzt ist die Zeit, Geld zu scheffeln, fit werden hat danach wieder Priorität.

Leo konnte ich davon überzeugen, dass es ganz gut für uns ist, vegetarisch zu leben. Ausgeschmückt freilich mit frisch gefangenem Lachs und Forelle, die Glen und Sascha mit schöner Regelmässigkeit vorbei bringen. Leo verarbeitet den Fisch zu fishcake, was man wohl mit Fischküchlein übersetzen könnte und bäckt Muffins, was ihm wiederum hie und ein wenig selbstgepflanztes und geerntetes Gras einbringt. Der Naturalienhandel läuft rege, momentan warten wir auf eine Lieferung geräuchterten Fischs von Earl, der ebenfalls mal Koch war und hier vom Land, seinen Hasen und Fischen so gut lebt, dass er mit seiner Katze Missy mit zehn Dollar Lebensmittel wöchentlich auskommt.

Mittlerweile sind wir acht Deutsche hier und hatten gar einen kleinen deutschen Partyabend, der um halb zehn natürlich sein züchtiges Pflückerende fand. Die anderen Deutschen reisen für längere Zeit und kommen aus Berufen wie dem strategischen Einkauf, eine Industriekauffrau, eine Architektin, eine Photographin und ein Mediendesigner und ein Landschaftsgärtner. Mark, der Mann aus dem Einkauf, interessiert sich für Philosophie, vor allem die Frage, ob wir Dinge so wahrnehmen können, wie sie sind oder ob wir immer mit so etwas wie einer Schablone durch die Welt laufen und sie den Dingen und Menschen aufpressen. Er hatte Frau und Haus und Auto und diesen Karrierejob. Er hatte das Gefühl, da schnell reingekommen zu sein und immer mehr gewollt zu haben. Mehr Geld, eine Beförderung, aber das Reisen war weiter im Hinterkopf und irgendwann gings nicht mehr anders und er liess sich scheiden und verkaufte, was er hatte. Nun sitzt er hier, viel zufriedener mit neuer Freundin und liest „Die Welt als Wille und Vorstellung“. Arbeiten könne man ja immer, meinte er, aber zurück wolle er jetzt sicher nicht. Oft treffe ich Reisende, denen es ähnlich geht, die sich in ihrem Büroalltag eingesperrt und nicht zugehörig gefühlt haben und denen die Äpfel hier lieber sind als ihre Anzüge, Computer und Meetings. Die Verpflichtungen hier sind kurzfristig und konkret. Jochen und Alex pflücken, um nach Asien reisen zu können und ich tue es, um hier weiterreisen zu können und mein Skifahren zu finanzieren und nach Australien fliegen zu können. Und zwischendrin wechselt man die Ausrüstung den Jahreszeiten entsprechend und arbeitet für ein paar Schuhe und einen neuen Schlafsack. Ein Schlafsack kostet vier Bins und die Kosten für eine Woche Miete und essen sind mit drei Bins abgedeckt. Es ist nie ein Aufhäufen und es ist keine Orientierung in eine ferne Zukunft. Trotzdem ertappe ich mich bei der Frage, wo ich wohl in zehn Jahren stehen werde. Und manchmal denke ich, dass mich eine halbwegs sichere Antwort wie die vermutlich immer noch in einer bestimmten Abteilung in einem bestimmten Bereich zu arbeiten mehr ängstigen würde als keine Antwort und das Gefühl, nicht festgelegt zu sein. Was aber immer da ist bei all meinen Gedanken über mein bisheriges Leben, ist eine grosse Dankbarkeit. Für die Ausbildung, meine Schulzeit und die Uni, für all die Leute, mit denen ich befreundet und bekannt bin, für die vielen Geschichten, die man mit mir geteilt hat, für die Orte, zu denen ich reisen durfte. Und ich stelle fest, dass ich mit all dem doch ein glücklicher Mensch bin.

In zwei Wochen wird’s vorbei sein mit Pflücken. Das waren dann fast zehn Wochen pflücken, die bis jetzt sehr gut vergangen sind und mit einem grossen Barbecue abgeschlossen werden sollen, wie man uns erzählt hat. Eine weitere Gemeinschaft, die ich Wahlzigeuner verlassen werde müssen. Wir könnten weiter Saisonarbeit machen und Kiwis pflücken oder Weinstöcke beschneiden, hat man uns erzählt. Wir sind noch nicht recht entschlossen. Mein Ziel ist sicher skifahren, davor noch die Gegend erwandern und am besten wwoofen. Das Schlafen im Auto könnte ein wenig frisch werden. Wir werden sehen.

Wie wird es sein, mit Leo zu reisen und nicht nur zu arbeiten? Wir mögen uns sehr und verstehen uns manchmal mit einem Blick. Ein Faktor, der besonders nützlich zu sein scheint ist, dass wir beide das Alleinesein lange geübt und schätzen gelernt haben. Ich lasse ihn in der Küche pusseln und er mich lesen und laufen und mit anderen Leuten plaudern und „aufzünden“. Trotz aller Toleranz habe ich manchmal meine Zweifel, weil wir doch so unterschiedlich sind. Er eher ruhig und ich nicht ganz unauffällig und ich oft versunken in Gedanken an die Philosophie, mit Fragen nach Metaphysik und Logik, die ihm sehr fremd sind. Er findet das nicht schlimm und freut sich, wenn ich ihm alles mögliche beibringe und findet es gut, wenn ich ihm mit Argumenten auseinandersetze, was ich denke und womit ich so meine Probleme habe. Und ich übe meine Geduld, wenn er meine Fragen nicht recht versteht und so viele Dinge nicht unterscheidet. Wir haben uns nun entschieden, einstweilen zusammenzusein und vielleicht klappt das auch für länger. Wir gehen nicht nur finanziell kleine Schrittchen, sondern können das auch als Paar tun.

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