Samstag, 11. April 2009

Apfelostern




Frohe Apfelostergrüsse Euch allen!

Wir werden ein bisschen Ostern feiern mit Bunnygesichtkeksen, die ich gestern noch schnell verbrannt habe. Ich hab schon mit viel Freude ein paar an meine Familie hier verschenkt. Leo hat das Konzept mit dem Hasenverstecken noch nicht ganz raus und meinte im Supermarkt, wir könnten ja ein paar Schokoladenostereier kaufen. Er wird seinen Lindthasen mit rotem Schleifchen schön zwischen den Äpfeln suchen müssen, während unser Chef seinen Hasenkeks einfach so kriegt. Osterfrühstück wird’s aber schon geben, mit selbstgemachtem Zopf!

Ich stelle wieder einmal fest, wie wichtig es mir ist, einen guten Chef zu haben. Peter ist fair, humorig, geradlinig. Er erklärt uns, warum wir genau welche Äpfel pflücken sollen. Und er gibt uns zwar hie und da Reihen, die wirklich kein Vergnügen sind, die nächste Reihe danach ist dann aber wieder eine reine Freude. Naja, in Pflückermassstäben gesehen. Auch die Preise für die Kisten sind so ausgelegt, dass jeder die gleichen Chancen hat, Geld zu verdienen. Und man hat seine Freiheit in der Zeiteinteilung. Arbeitet man wie besessen, schnell und lange, verdient man automatisch mehr. Das verkneifen wir uns. Wir arbeiten konstant, aber wir haben ein Mittagspicknick und wollen auch noch was vom Abend haben. Peter will Qualität, das hindert ihn aber nicht, freundlich zu sein. Ich fühle mich an die Unizeiten erinnert, wo ich mit Hans Rott einen wunderbaren Chef hatte. Und ich sehe den Kontrast danach mit einer gewissen Person, die als Chef an Furchtbarlichkeiten wirklich wenig ausgelassen hat.

Ich habe immer noch viel Zeit zum Denken. Sechs Wochen Äpfel und ein ganzes Leben durchzukauen. Ich entwickle sogar sowas wie Heimweh. Ich vermisse einige meiner Leser in ganz live, Spieleabende, gute Buchläden mit der Möglichkeit, Bücher bis zum nächsten Werktag zu bestellen, ich vermisse ordentliche Museen, Bibliotheken, meine Skier, mein Rennrad, ordentliches Recycling, eine gute Passion in einer eisigen Kirche, gut verfügbares, schnelles Internet, Zeitungen, die über mehr als die erschreckende Rauferei im Nachbarpub berichten und oh Wunder, sogar das Fernsehen, das es wert ist, irgendwann mal reinzuschauen. Vor allem, wenn die Supernanny, Rach, der Restauranttester und der tolle Kriminaldauerdienst und der Der letzte Zeuge kommen. Mein Englisch aber kommt langsam dahin, dass ich auch schlagfertig sein kann und besonders hochgestochen reden kann, wenn mir danach ist. Es holt sozusagen zu meinem Sinn für Humor auf, der ja das einzige ist, was ich wirklich ernst nehme, wie Leo schon bemerkt hat.

Ich denke aber auch darüber nach, was ich nicht vermisse. Es ist dieses unfassbare Streben nach Sicherheit, das ich oft empfunden habe und das die Zufriedenheit mit dem, was gerade ist und was man geniessen kann, so oft zu ersticken scheint. Ich habe das Gefühl, dass sowohl hier als auch in Indien viele Leute viel mehr im Moment leben. Sie arbeiten, um sich jetzt durchzubringen. Unser Mitbewohner Don z.B. arbeitet, um mit seiner Frau wieder in den Norden NZs heimfahren zu können. Sie wissen nicht, was sie nächstes Jahr machen werden. Sie scheinen zufrieden zu sein und sind einfach herzensgute Leute. Ich vermisse nicht das Streben nach dem Haus, das die Nachbarn am meisten beeindrucken könnte und auch nicht den Autowahn, der mir hier noch um einige Grade absurder erscheint. Vielen Deutschen ist es bestimmt sehr gut gegangen in den letzten Jahren und manche hat das dazu verführt, sich zu sehr auf solche Dinge anstatt auf das, was man an Gutem hat, zu konzentrieren.

Das Gefühl der Freiheit, das ich in Raglan hatte, ist immer noch da. Und ganz besonders wenn ich wie eine Wahnsinnige durch den eisigen Regen in der Dunkelheit renne, Coldplays "Viva la Vida" im Ohr. Ich habe immer getan, was mir viel Freude gemacht hat. Die Schule, das Studium, auch das Journalistenjobben war gut und das Reisen ist genau mein Ding. Vielleicht muss ich nicht wissen, was ich in zehn Jahren tue. Vielleicht ist es eine gute Idee, einfach den eigenen Intuitionen zu folgen, leicht und glücklich Chancen zu nutzen. Ich habe mich nie gelangweilt und ich habe immer versucht, meine Freude an meinem Leben zu bewahren. Love it, change it or leave it. Es hat so gut für mich funktioniert und ich habe beschlossen, mich nicht mehr verunsichern zu lassen, wenn Menschen in meinem Umfeld mich auf einen Weg bringen wollen, der nicht der meine ist.

Ansonsten ist es frostekalt im wörtlichen Sinne. Eigentlich durchaus das, was ich als Osterwetter kenne. Schnee liegt auf den Hügel und man riecht ihn auch in der Luft. Die Häuser sind wie Bananenkartons isoliert und ich preise meine neu erworbenen Long Johns (Thermounterwäsche) und meinen wuscheligen Schlafsack während Leo von meinem Thermal Liner, meinem warmen Schlafsackinnensack profitiert. Er hat natürlich keine Long Johns gekauft, kauft keinen neuen Schlafsack, auch wenn ich jeden Tag von Federn bedeckt neben meiner Frau Holle aufwache und er will sich einen Liner aus einem alten Bettlaken nähen. Jaja, soll er mal. Eigentlich braucht man doch wirklich wenig. Keine zehn verschiedenen Laufklamotten- ich renne halt hier mit meinen Arbeitsklamotten und meiner guten Regenjacke- und auch keine sieben Jacken. Ich bin oft aus Langeweile und einfach weil die Gelegenheit da war, shoppen gegangen. Beides habe ich hier nicht. Ein paar wirklich gute Teile und gut isses. Es ist bestimmt kein asketisches Leben hier, aber es ist doch eine Besinnung auf das, was mir wirklich wichtig ist und auf was ich gut verzichten kann.

Nun ist bald Skisaison und wir versuchen, in der Gegend um Queenstown und Wanaka auf der Südinsel einen Job zu kriegen, so dass ich endlich skifahren kann. Ich könnte als kitchenhand arbeiten, den Lift bedienen, mit viel Glück sogar als Skilehrer arbeiten oder Kinder betreuen. Und Leo wird natürlich als Koch arbeiten. Ich vermisse den Schnee und das Skifahren wie blöd und kann jetzt einfach noch nicht nach Australien. Kann ja noch warten, oder? Alte Bretter werden wir wohl entweder vom „Dump“ oder vom Op-Shop kriegen. Tourenski zu finden grenzt dabei aber freilich an ein Wunder. Ein Wunsch ans Universum hat mir aber in letzter Zeit doch schon so einiges gebracht. Einen Brettspielfan, einen begeisterten Fischer, einen Leo. Ist doch schon ein guter Anfang.

Achja, Dump und Op-Shop. Da gibt es pfenninggute Sachen und Leo und ich lassen keine dieser herrlichen Gelegenheiten aus. Ich habe einen ausgezeichneten BH im Omastil erworben, der sich prächtig zum Pflücken macht, eine wirklich schöne OperettenCD mit Elisabeth Schwarzkopf und haufenweise Bücher, wobei unser Favorit „The Art of German Cooking“ ist. So komme ich zu ausgezeichneten Kartoffelknödeln, einer bayerischen Creme und Dampfnudeln mit selbstgemachter Vanillesauce. Ausserdem haben wir zwei Golfschläger für je zwei Dollar erworben und werden über Ostern unsere 14 Bälle auf dem Golfplatz in Roxburgh verschiessen. Womöglich werden wir in eine heisse Konkurrenz mit dem netten deutschen Paar Alex und Jochen treten. Sie reisen schon seit zwei Jahren und verdienen hier gerade ihr Geld, um nach Asien reisen zu können. Sie scheinen sich sehr zu mögen und haben sehr viel Energie und Freude. Sie pflücken teils doppelt so viele Bins wie wir.

Das Dörfchen Roxburgh hat sich nun zu so etwas wie unserer nahe gelegenen „Stadt“ entwickelt. Man kennt uns und winkt uns. Die Frau im Häkel- und Strickladen erzählt uns über ihre Reise nach England mit ihrem abenteuerlustigen Gatten und die burschikose Lehrerin, die den einzigen Backpacker hier schmeisst und mit ihrem Farmergatten das Internet betreut, versucht mich zu überreden, bei einem der sogenannten „Variety-Concerts“ in einer japanischen Robe zu singen. Warum? Weil sie die halt hat und schliesslich auch irgendwer singen muss. Zum Glück hatte ich das letzte Mal Halsweh.

Vor einer Woche waren Leo und ich auf einer eigentümlichen Veranstaltung im Entertainment Center in Roxburgh, wo wir heute wieder einmal Kinoabend haben. Der Abend lief unter dem Titel „Get Dotted!“ und zwei Damen und ein Herr führten eine Art kollektiven Psychotest mit dem Publikum durch. Ich glaube, ganz Roxburgh war gekommen, zumindest waren alle da, die wir mittlerweile kennen. Mit den Eintrittsgeldern soll ein Seminar für die Jugendlichen der Gemeinde finanziert werden. Es gab vier Persönlichkeitstypen: den Rationalisten, den Pictorialisten, den Visualisten und den Sensationisten. Die Showmaster lasen typische Verhaltensweisen und Einstellungen vor, wie z.B. „ich orientiere mich an Fakten“ für den Rationalisten oder „ich orientiere mich an Gefühlen“ für den Sensationisten und man sammelte Punkte, wenn man mit den Aussagen übereinstimmte. Wie vermutet habe ich klar im Rationalisteneck gepunktet und Leo im Sensationisteneck.

Er redet gern über seine Gefühle und ich rede manchmal lange auf ihn ein, dass es bei Uneinigkeiten keine schlechte Idee ist, Argumente vorzubringen anstatt nur nach den eigenen momentanen Gefühlen zu handeln. Ich fühle mich ein bisschen wie der Professor in „My Fair Lady“, wenn Leo mir sagt, dass er gerne ordentliches Englisch von mir (der Deutschen?!) und Mathe lernen will und auch sonst auf Bildung hofft. Ich lese ihm allerhand vor und erzähle ihm, was mir gerade in den Sinn kommt. Er versorgt mich mit Sushi für unser tägliches Picknick und fragt mich nach meinen Gefühlen, kümmert sich um einen Ersatzreifen für mein Auto, putzt das Haus und bekocht mich. Er hat sicher keine schrägen Ideen, was Frauen zu tun haben und Männer in keinem Fall machen können oder umgekehrt. Er ist schon ein ganz ein Süsser, mein Leo. Ob wir wohl wirklich gemeinsam durch Deutschland reisen? Nach Grönland für eine Weile gehen? Europa angucken? Zusammenbleiben? Die nächsten hundert Folgen sollen es ans Licht bringen!

1 Kommentar:

Saschi hat gesagt…

Servus, frohe Ostern Euch. Das klingt alles schon mehr nach Sonntag als nach Freitag! Ich suche jetzt im Supermarkt immer extra neuseeländische Äpfel. Hinsichtlich Ski fahren wär es vielleicht eine gute Idee Telemark zu lernen. Ich hab die Phantasie dass das in NZ recht verbreitet sein müsste.Ich hab grad wg Arbeitsüberfluß die Skiwoche am Arlberg abgesagt. Der Garten ist so schön dass es mich nicht recht in den Schnee zieht und da Regine mit Gardasee am Stück von Regensburg aus droht wird es Zeit aufs Rad zu kommen. Aber Schwerpunkt ist Arbeit. Eine recht nette, arbeite an einem Toolkit zur Förderung der Social Responsibility von Kleinunternehmen. DEine Beschreibung eines guten Chefs werd ich in meinem Führungskräftetraining einsetzen. Dort haben wir eine ähnliche Übung gemacht wie ihr in Eurem Unterhaltungsabend. Bei uns heisst das "Hermann Dominanz Indikator". Dort gibt es blaue (rational) grüne (ordentlich) Gelbe (kraetiv) und rote (gefühlig) Das macht den TN auch immer recht Spaß. Das als Abendunterhaltung gegen Eintritt zu spielen ist aber auch ne gute Idee.So, jetzt beneide ich dich weiter, freu mich auf den nächsten Post, ermutige Euch durch Deutschland zu reisen und verbleibe mit herzlichem Gruß
Saschi