Samstag, 18. April 2009

Die Anderen






Hilfe- feindliche Subjekte in unserer happy family hier! Wir haben sie gesehen und der Start unserer zarten Beziehungen wies sehr richtig in die Zukunft. Simon und Sarah sind beide Köche und sollten die Franzosen ersetzen, die hier gepflückt haben und die sich nun mit Eisäxten gen Mount Cook aufgemacht haben. (Man rechnet mit zwanzig Stunden Fussmarsch, ich habe sie aber kein einziges Mal joggend oder anderweitig ihre Kondition trainieren sehen. Wenn die Zeitungen nicht von ihnen berichten, ist das vermutlich ein weiteres Indiz für ihre masslose Schlechtigkeit.) Simon und Sarah lernte ich kennen, als ich sie fröhlich in der Früh begrüsste und mich vorstellte. Da kam dann gleich ein böser Blick und ein Seufzen, mein Vorname sei zu schwierig. Ich konterte damit, dass wir hier eine ganze Sprache lernen müssen, da wär doch für ihn ein Wort nicht zu viel verlangt. Seltsam, dass er es nach diesem kleinen Kommentar auch wirklich tadellos herausbrachte. Phil, ein weiterer Kiwi, der Fernsehjournalismus studiert hat und Geld fürs Reisen in die UK erpflückt, stiess auf die beiden (mit einem Blick, wie Phil berichtet, der verhiess: Wen kann ich als erstes mit meinem Maschinengewehr über den Haufen schiessen?) und die erste Frage von Simon war, was Phil denn danach machen würde, he? Ob er dann arbeitslos sei oder was, he? Die Freude uferte dann ganz aus, als sie ihre Bäume alle unten pflückten und die schwierig mit der Leiter zu erklimmenden Spitzen uns lassen wollten. „Tut uns Leid, Ihr könnt ja nun in unserer Reihe weiterarbeiten, wir gehen woanders hin.“ Das gab eine Ermahnung von Peter und den nahezu sicheren Hass der ganzen Crew, die sie nun argwöhnisch betrachtet, wenn Sarah wieder in ihren feinen hochhackigen Schühchen mit ihrem Miniröckchen zwischen uns in unseren Dreckklamotten über die Wiese wackelt. All das ist für mich als Sozialstudie ausgesprochen spannend. Wir sind ca. 25 Leute, klar, jeder hat seine Eigenheiten und Macken, aber man spielt so fair wie nur irgend möglich. Da wird den anderen geholfen, ein freundlicher Kommentar gemacht, die Fischer unter uns versorgen die anderen mit Lachs und Forelle, die Bäcker mit Keksen und Muffins und wieder andere geben was von ihren (natürlich selbst heimlich angebauten) Weedvorräten ab. Und Peter hat uns gar Schokoladenosterhasen geschenkt. So fühlt sich jeder entspannt und integriert und selbst die Schüchternen reden mittlerweile. Der Job ist anstrengend genug. Wenn man neu in so eine Gruppe kommt und sich zu mehreren dreist und dumm verhält, haben die anderen einen gemeinsamen Feind. Das schweisst zusammen und ist im Grunde heiter. Wenn man nicht auf der anderen Seite steht...

So, hätten wir wieder einiges geschafft. Lange bin ich Leo nachgelaufen mit der Bitte, doch einen Lebenslauf zusammenzuschreiben, der nicht nur reine Phantasie ist. Eiligst haben wir dann das Endprodukt an Ski NZ verschickt. Ich habe mich als Sprachübersetzer, im Skiverleih und als Lifthansel beworben und er sich als Koch. Bewerben scheint man hier sehr locker zu nehmen, auch wenn die Homepages doch nach einem ordentlichen Anschreiben und Lebenslauf und dem Visum verlangten. Ich bin gespannt, was passiert. Wenn das nichts mit dem Job wird, wird sich vermutlich was anderes ergeben und ich kann schliesslich auch ohne Job skifahren gehen und anders Geld verdienen. Momentan lacht die Kasse, mein deutsches Konto hat noch einiges aufzuweisen und mein neuseeländisches Konto ist über tausend Dollar geklettert. Ich habe mir ausgerechnet, dass ich bis jetzt inklusive tausend Euro Flüge mit gut 4000 Euro seit November klargekommen bin. Und ich dachte immer, das Reisen sei so teuer. Schlau angestellt sieht man viel und zahlt wenig. Ich bin begeistert!

Manchmal überkommt mich nun die Nostalgie und als mir am Dienstag auffiel, dass meine Studienzeiten vermutlich meine schönsten Zeiten bis jetzt waren, entfleuchten mir ein paar Tränchen im Braeburnjungle. Das Reisen ist schon auch sehr wunderbar, aber auf längere Zeit gesehen waren die Freunde und die Uni formidabel. Momentan gehen mir die Diskussionen ab, mit der Suche nach den genauen, fein geschliffenen Bedeutungen der Worte. Hier wird mit viel „bloody hell“, „cheeeeeee.....!“(wohl für „jesus!“) und „holy shit, man“ Bewunderung ausgedrückt und auf Präzisierungsfragen und Fragen nach einem Beispiel kriege ich oft die Antwort „I can't be bothered! Why do you always have to complicate things?“). Ohne meine Bücher hier würde ich Zufriedenheit einbüssen. Vorsichtig gesprochen. So grabe ich mich durch Emily Brontes „Wuthering Heights“, Shakespeares „King Lear“, eine Patricia Highsmith „Strangers on a Train“ und Michael King's „Penguin History of New Zealand“. Mein Liebling ist aber Palle Yourgraus „A World Without Time. The Forgotten Legacy between Einstein und Gödel“. Da erzählt mir dann ein Physiker, dass Gödel sehr wohl als Philosoph ernstgenommen gehört.

Auch meine langen Denkphasen beim Pflücken unterbreche ich nun. Die anderen Deutschen, Jochen und Alex, haben eine herrliche Sammlung mit „Drei Fragezeichen“ - und „Hitchcock“- Hörspielen für meinen MP3-Player. Die Erkenntnis, dass ich ohne Denkstoff nicht lange glücklich bin, ist jedenfalls keine neue, wird hier aber besonders intensiv erlebt.

Am Ostersonntag sind Leo und ich tatsächlich mit unseren vierzehn Bällen und zwei Schlägern zum Golfen aufgebrochen. Für zwanzig Dollar hat man dort die Möglichkeit, den Schläger mit Schwung in den feinen Rasen zu rammen. Leo tat das mit einer gewissen Lehrerpose und ich wälzte mich am Boden vor Lachen, als der schulbuchhaft gedachte Abschlag nun wirklich nicht gelingen wollte und ich meinte, ich müsste mir dann das Golfen wohl selbst beibringen. Ich fand es eine wirklich wunderbare Beschäftigung, dem kleinen Ball nachzujagen und hielt mich auch gar nicht schlecht. Natürlich spritzte viel Gras und Dreck in die Luft und Leo verschoss vier Bälle. Vor allem als wir den Ball über eine sicher zwanzig Meter tiefe und ebenso lange Schlucht fetzen sollten, hatte ich meine Zweifel. Zu Unrecht. Der Ball prallte zwar an einer Pinie ab, war aber immer noch gut sicht- und schlagbar. Allerdings kann ich diesen Sport bis jetzt nicht ernst nehmen und weiss wirklich nicht, warum man darum ein solches Gewese macht. Minigolf in gross, Vergnügen für jung und alt, und basta!

Am Ostermontag hatten wir auch frei und ich konnte mein Glück, zwei freie Tage am Stück zu haben, gar nicht fassen. Kann mich gar nicht erinnern, wann ich das das letzte Mal hatte! Ich dachte mir, ich powere mich ordentlich mit einem 45-min- Vorfrühstückslauf aus und war schon ein wenig geknickt über meine schwindende Kondition und lass es dann dabei bewenden und geniesse die letzten sommerlichen Tage mit einem Buch auf der Terrasse. Aber nein, um elf kamen dann Phil und Glen, ein anderer Kiwi, an und meinten, wir könnten doch den Gipfel gegenüber besteigen. Das hat meinen Ehrgeiz angestachelt und Leo braucht auch ein wenig Lauftraining. So machten wir uns also zu einer fünfeinhalbstündigen, durchaus nicht flachen Wanderung auf. Auf dem Gipfel war Schnee, es zog ein frostig Wind vorbei und ich wollte im Grunde nur heim, hab mich aber natürlich hochgekämpft.. Im Aufgeben bin ich ja nun nicht besonders gut. Leo machte vorher Rast auf einem Felsen und liess sich von einem neugierigen Fantail, einem hiesigen Vogel beschwatzen. Unser Start (bzw. meine Rückkehr) in ein bewegteres und gesünderes Leben ist getan. Wir essen nun vegetarisch und gucken, dass wir (wieder) fit und schlank werden.

Der Fantail übrigens ist ein wirklich heiteres Vögelchen. Wirklich sehr, sehr neugierig, sehr hübsch, schwarz- weiss, ein bisschen grösser als ein Spatz und schlanker, kommt er beim Pflücken angeflogen, setzt sich einen Meter von einem entfernt auf einen Ast und zwitschert einen langen und überaus ernsten Vortrag aller Vermutung nach des Inhalts, dass dieser spezifische Baum hier nicht zu pflücken sei. Bis jetzt haben wir uns allerdings weder von seinem autoritären Auftreten noch von seinen Argumenten überzeugen lassen. Ein weiterer grosser Liebling ist das Insekt Praymentis (Gottesanbeterin??), ich hoffe, man schreibt es so. Es handelt sich um diesen grünen Hüpfer, der auch fliegen kann und sich hoch auf den Apfelbäumen aufhält. Ich hab Euch schon ein Photo gepostet. Er hat sechs Beine und hält die langen Vorderbeine in die Luft als würde er beten. Er hat ein sehr hübsches Gesicht und guckt einen neugierig an. Ich nehme mir immer die Zeit, die Tiere zu beobachten oder den Wind in den gigantischen Weiden, die locker dreimal so hoch sind wie das Packhaus neben. Ich glaube, ich habe noch nie so hohe und beeindruckende Bäume gesehen. Wenn die Wolken über die Berge ziehen und die Sonne durchscheint, der Wind vorbeiweht und ein paar Tropfen fallen, dann fällt mir schon auf, wie sehr eins man doch mit der Natur sein kann. Ohne dass sie es oft wissen, macht das die Menschen hier wohl zufrieden. Ich weiss, ich werde auch an diese Zeit einmal wehmütig zurückdenken.

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